Singlereise Thailand 2013
vom 12.November - 19. Dezember 2013
Das Paradies liegt im Nirgendwo - natürlich!
Wer weiß das nicht? Aber hier ist es doch auch ganz nett.
Oder?!


Meine Reise geht dieses Mal von Bangkok nach Osten - Isaan, die Reiskammer und absurderweise auch das Armutsgebiet Thailands.
Und zum Mekong. Der Grenze zu Laos.
Dort im Süden von Laos und an der Südgrenze zu Kambodscha liegt im 15 km breiten Mekong das Gebiet "Si Phan Don" - was auf laotisch so viel wie "Viertausend Inseln" heißt - und auf Don Det, einer der Inseln, hat jeder Tag einen langen Atem.
Im Februar noch waren Edith und ich zu Gast bei Lutz. Im Mama Leuah Guesthouse.
Lutz aus Suhl lebt dort mit seiner laotischen Frau Pheng und der ganzen Familie.
Wir waren im Paradies.
Lutz kümmert sich um alles: Ein kaltes Bier? Kein Ding, kommt sofort. Einen superleckeren Bio-Kaffee aus dem Bolavenplateau? Bringt er an die Hängematte.
Ein kleiner Hunger? Pheng kocht ausgezeichnet, laotisch und europäisch.
Was für ein Glück!
Deshalb die Entscheidung jetzt: Wer will denn nicht ins Paradies - außer den Toten Hosen?
Hier nochmals unser Länderfazit von Laos und Kambodscha:
LAOS - ist immer noch ein Land der Langsamkeit. Das ist es, was dieses Land in unserer schnell getakteten Welt so attraktiv macht.
Mit den Menschen in Laos kommt man allerdings nur sehr schwer in Kontakt. Ihre Englischkenntnisse, Rechenkünste und ihr Arbeitstempo sind eher bescheiden. Sie sind zwar höflich, aber doch sehr zugeknöpft zu Fremden. Und nachmittags und manchmal auch vormittags schon überfällt sie eine unglaubliche Müdigkeit, so dass alle Hängematten bei den Häusern besetzt sind. Wer nach Laos reist, braucht eine ganze Menge Geduld und lässt sein deutsches Verständnis für Pünktlichkeit und Sauberkeit am besten zu Hause. Die Laoten nehmen es in ihrer entspannten Art mit diesen Dingen nicht so genau, was aber nie bösartig gemeint ist. Vor allem in den Dörfer leben sie noch in einer anderen Welt. Fließendes Wasser, Strom und gute Straßen sind vielerorts Mangelware. Es ist ja auch ein Land, das zu den ärmsten der Welt gehört.
Das Reisen zu Land auf schlechten Strassen und zu Wasser ist immer ein Geduldspiel und manchmal auch ein kleines Abenteuer. Denn Laos erleben, heisst unterwegs sein und der Weg ist das Ziel.
Unsere Hihghlights sind die bezaubernde alte Königstadt Luang Prabang mit den vielen französischen Einflüssen, der Norden mit den vielen Trekkingmöglichkeiten zu den Bergvölkern, die idyllischen Flusslandschaften des Mekong und Nam Ou. Das Travellerparadies Vang Vieng und im Süden an der Grenze zu Kambodscha Pakse mit dem Bolaven-Plateau und dem idyllischen Wat Phou sowie die Mekonglandschaft "Si Phan Don (Viertausend Inseln)" sind sehr angenehme Reiseziele.
Das Besondere an Laos ist, dass man das einfache und idyllische Landleben der Menschen und Tiere hautnah erleben und sich von der Langsamkeit anstecken lassen kann. Asien pur eben!
KAMBODSCHA - ist ein "Mix aus heaven and hell". Man wird hier mit bitterster Armut konfrontiert, mit dem Schrecken der "Khmer rouge" und den unglaublichen Geschichten über die blühende Korruption im Lande und einen unmoralisch hohen Reichtum.
Auf der anderen Seite haben wir in Kambodscha nur sehr freundliche Menschen getroffen und wir haben uns wie in Thailand auch schon im ersten Moment willkommen gefühlt und wie überall auch sehr sicher. Die dünnen "Schlafanzüge", mit dem sich viele Frauen am Tag und auf der Straße kleiden, trägt möglicherweise dazu bei, dass man sich "zu Hause" fühlt.
Der Standard in den Hotels ist überraschend gut und die Leute tun alles, um dir den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen.
Natürlich ist Siem Reap mit Angkor Wat, Angkor Thom und Tha Phrom (der Dschungeltempel) das Highlight des Landes. Wenngleich die Touristenmassen inzwischen den Spaß am unvergleichlichen Tempelfeld nehmen können. Aber mindestens genau so beeindruckend ist es, in der Hauptstadt Phnom Penh über die Straße zu gehen (Absolut sehenswert ist dieser Verkehr und ein neues Gesellschaftsspiel bietet sich an, "Mensch, geh' über die Straß'!") oder mit dem Tuk Tuk durch die Landschaft ausserhalb der Städte zu hoppeln.
Der Mekong und der größte Binnensee, der Tonle Sap mit den "Schwimmenden Dörfern" gehören ebenso wie die Hauptstadt mit ihrer bizarren Geschichte zu den Attraktionen.
Ein schönes Land zum Reisen - auch für Edith inzwischen. Sie hat ihre Meinung unserer ersten Reise 2009, als sie sich sehr unwohl fühlte, grundlegend geändert und hat sich vom ersten Tag an wohl gefühlt.
Ein großes Plus dieses Landes ist unser Tuk-Tuk-Fahrer Sokra, der uns 3 Tage lang durch Siem Reap kutschiert und begleitet hat und den wir und ebenso Horst & Gabi von der Stelle weg adoptiert hätten. Vielleicht machen wir es auch noch. Im witzigen Mailkontakt stehen wir jedenfalls.
Sokra werde ich ebenfalls besuchen. Möglicherweise am Schluss der Reise, wenn er am 14.+15. Dezember in Siem Reap - überraschend für uns - heiraten wird.
Am Dienstag, 12. November 2013 hebt die Maschine von Etihad in Frankfurt ab und landet am nächsten Morgen nach 2x 6 Stunden Flug in aller Frühe hoffentlich wohlbehalten auf dem Internationalen Flughafen von Bangkok, 34 Grad.
Dort werde ich mich in Banglampoo am Chao Phraya erst mal einige Tage akklimatisieren, bevor es weitergeht nach Osten.
Bangkok - 13. November 2013
Wieder über den Wolken. Ein einfach gelungener Halbflug gen Osten nach Abu Dhabi. Das gute Essen, der ruhige Flug dem Abend entgegen. Der Airbus A330 ist nur halbvoll und auf den Mittelsitzen liegen zugedeckte, verkrümmte Körper, die täuschend echt „Leichen“ spielen. Darunter auch junge Deutsche mit gelbem T-shirt „Fire & Rescue“. Von Abu Dhabi fliegen sie noch in der Nacht nach Manila und ins Chaos und wollen retten oder wenigstens helfen. Ein Voraustrupp der Barmherzigkeit. Sie schlafen den Flug durch, wissend, dass sie so bald keinen Schlaf mehr finden werden. Unter uns die ostanatolische Steinwüste, das biblische Mesopotamien mit Euphrat und Tigris und vor uns der Himmel in strahlend hellem Blau, stundenlang. Darunter ein leuchtend orangenes Band bis zur Linie zwischen Himmel und Erde. Darin die Sonne als orangeglühender Feuerball, dem man nicht ins Gesicht sehen kann.
Später, als der vergehende Tag das tiefrotorangene Band immer schmaler werden lässt, taucht 12500 m unter uns das spärliche Lichtermeer von Baghdad auf, wo vielleicht genau in diesem Moment ein noch unerkannter Selbstmordattentäter mit rasendem und brennenden Herzen im Schutze der Dunkelheit durch die Straßen der armen Stadt schleicht.
Vor der Zwischenlandung taucht eine Glitzerwelt auf mit gut ausgeleuchteten zehnspurigen Autobändern durch die Wüste und flachlandigem Meer auf: Doha.Die Stadt glaubt wohl noch immer, dass sie großen Eindruck auf die Besucher macht und vergisst, dass sie auf Sand gebaut ist.
Im Airport von Abu Dhabi der Koffermarathon durch überlange marmorne Gänge, verschwitztes Schlangestehen vor dem Security-Check und atemloses Sacken in den reservierten Sitz der Boeing 777 nach Bangkok, gerade noch rechtzeitig zum „Last call“.
Vollbesetzte Maschine nach Bangkok. Eng und eingequetscht zwischen zwei gleichaltrigen alleinstehenden Rentnern, zwischen denen ich mich gesteigert unwohl fühlte und immer schweigsamer wurde.
Am Morgen 7 Uhr tritt man am Airport schon gegen die heiße Wand: 32 Grad, hohe Luftfeuchtigkeit. Mit dem Zug nach Phaya Thai in die City und mit dem Taxi nach Banglampoo gestaut. 5 Stunden Schlaf, eine Dusche und Western Frühstück. Die technischen Details geklärt (Simkarte und Wifi) und ab geht's an den Fluss und in den Tempel am Abend.
Bangkok - 14.11.2013
Die „Stadt der Engel“ zeigt sich mir von einer anderen Seite. Seit meiner Ankunft irre ich durch die menschenüberfüllten Gassen von Banglampoo, ohne Ziel und Interesse. Ich sitze viel, beobachte die Szenen, Menschen, versuche, ihnen gedanklich näher zu kommen, sie zu verstehen. Und ziehe mich zusehends in mich selbst zurück, schaue wie aus einem Schneckenhaus auf die Welt, die vor mir pulsiert. Lähmung, Stillstand. Vielleicht auch Ruhe?

Die Bewohner treibt die Frage, „wo finde ich das Glück, d.h. das Geschäft, durch das ich die nächsten Tage als ehrlicher Mensch überleben kann?“ Getrieben von seinen Ängsten, geht er in einer freien Minute in den Tempel, mit einer Lotusblüte oder Räucherstäbchen will er seine Gottheit besänftigen und seinem Glück auf die Sprünge helfen. Vergisst, dass speziell seine Gottheit auch nur ein Mensch war, der vor etwa 2500 Jahren gestorben ist.
Manche inspiriert Jesus, Buddha, Allah oder Shiva, die unverrückbare Gewissheit, dass irgendwo über uns ein göttlicher Wille waltet, der auf Erden erfüllt werden muss.
Oder mehr noch die Angst vor dem vermaledeiten Karma, dem Fegefeuer und den Höllenqualen.
Mich motiviert das genaue Gegenteil: dass keiner über uns wacht und dass nur wir im Universum herumgeistern. Nur wir allein. Wer sollte uns folglich helfen, wenn nicht einer dem anderen? Das gottlose Weltall lässt keine andere Wahl. Dieser Zustand beraubt uns aller Ausreden.
Wir alle sind verantwortlich. Sonst niemand.
Dazu passt: Im Moment lese ich den Essay „Der Mythos des Sisyphos“ von Albert Camus wieder, der mit dem Satz beginnt:“Es gibt nur ein wirklich ernsthaftes philosophisches Problem: den Selbstmord:“
Auf den ersten Blick ein oberflächlich erscheinender Gedanke. Aber unversehens rückt er damit die Frage nach der Existenz des Menschen ins Zentrum. Weder die Debatte über den Ursprung von Huhn oder Ei noch der philosophische Gottesbeweis hat Bedeutung.
Entscheidend ist hierbei, ob das Leben es wert ist, gelebt zu werden.
Die Kluft zwischen dem sinnsuchenden und Fragen herausschreienden Menschen und der Welt, die nur mit Schweigen antwortet, ist der eigentlich philosophische Skandal. Keine metaphysischen Heilslehren - die hier im Shiva- oder Buddhaland in Fülle angeboten sind - können den genannten Abgrund der abendländischen Moderne überbrücken. Der Mensch muss nach Camus die absurde Situation, in der er sich befindet, klaglos ertragen.
Er muss deren Ausweglosigkeit erkennen, denn sinnstiftende Götter sind für ihn tot.
Sisyphos ist der absurde Held, der die Ausweglosigkeit anerkennt, ja die Nutzlosigkeit seines Lebens. Er trägt dabei durchaus bemerkenswerte Züge: Er verachtet alle Götter, hasst den Tod und ist voller Leidenschaft für das Leben, das er in all seiner Schönheit und Schrecklichkeit bejaht. Trotz aller Absurdität muss man sich Sisyphos als „glücklichen Menschen vorstellen“. Was auf den ersten Blick schwer fällt.
Meine erste Tat gestern auf thailändischem Boden nämlich war gewissermaßen symbolisch für diese Reise: Ich ließ meine Visakarte im Geldautomaten stecken und bin im Moment für absehbare Zeit vom Geldfluss abgeklemmt, was meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit spürbar beeinträchtigt. Offensichtlich. Und wenn du dir Sorgen machen musst, ist dein Leben nur halb so viel wert.

In der einsetzenden Dämmerung treibe ich mich im nahen Wat Wai Chana Songkhram herum, lausche dem abendlichen Chanting, dem Singsang der Mönche in einem kleinen Bot, sehe die eilige Verehrung der vielen Statuen im Kloster, sehe die Nonnen in ihren weißen Schürzen, wie sie von langen Stielen große Mengen Kräuterblätter pflücken und in weißes Papier wickeln. Sie arbeiten gemeinsam mit Bedacht und Ausdauer, lächeln viel. Eine andere Nonne säubert die Plätze vor den goldglänzenden Figuren von zu viel bunten Tüchern, von zu viel Blumenkränzen, zu viel Lotusblüten, die sie alle wieder ordentlich in die Eimer zu weiterem Verkauf zurückstellt. Auch die Anbetung ist nicht ewig, ist flüchtig und vergänglich.
Auf der Polizeistation bei der Khao San Road frage ich nach einem Beamten, der englisch spricht. Nach längerem Grübeln zeigt mir der erste Uniformierte auf einen eng Taillierten, der demonstrativ gelangweilt am billigen Schreibtisch lümmelt. Als er den Mund zur ersten Erwiderung aufmacht, wird mir das lange Grübeln schlagartig klar. Er sprach definitiv nicht englisch, hatte auch meine Bitte, mir eine Filiale der Western Union hier in der Gegend zu zeigen, nicht im Ansatz verstanden. Ich brach mein Anliegen schnell mit einem Wai und einem nachgeschobenen Lächeln vorzeitig ab.
Wer von der Chakraphong Road in die Khao San Road einbiegt, der bekommt unweigerlich einen Eindruck von der Allmacht des westlichen Geldes.
Hier gibt es nicht nur die billigsten Hotelzimmer, die billigsten Tickets nach überall hin, die falschen Studenten- oder Presseausweise, hier schwanken auch dickbäuchige Westler mit rot gerösteten Bäuchen unter dem Muscle-Shirt in Gruppen grölend durch die schon jetzt überfüllte Fußgängerzone, jeder mit einer Bierdose in der Hand. Daneben sieht man blonde Männer mit tätowierter Seemannsbraut auf dem Oberarm die schmalen Schultern einer einheimischen Kindfrau umschlingen oder andere, selig entspannt, einen halben Kanister Heineken leer trinken. Die Show ist umwerfend. Ich höre, wie einer beim Einbiegen in den „Höllenpfuhl“ den Kumpels ehrfurchtsvoll zuflüstert „und das ist die berühmte Khao San“.
Man stelle sich vor, wie drei akoholblöde Thais - halbnackt und lallend eine schlanke Europäerin umfassend - durch die Innenstadt von Castrop Rauxel oder Rostock wanken.
In der Soi Rambuttri liegen die Touristen in dieser Stunde entspannt und mit geschlossenen Augen in Legionen auf Massagebetten entlang der Gasse oder hängen die nackten Füße in ein Aquarium, wo Schwärme kleiner Fische eine Art Pediküre veranstalten. In der Luft hängt ein Duft von diversen Ölen und Cremes.
An einem umlagerten Straßenstand ordere ich ein köstliches Pad Thai mit Ei und Shrimps. Ein Genuss, obwohl im Stehen verschlungen.
Danach ein Chang Bier, bei dem ich 23 Akhafrauen vetrösten muss, morgen bestimmt ihre Armbänder kaufen zu wollen. Sie lächeln wie immer breit und ziehen mit dem typischen Geräusch ihrer Holzunken zum nächsten potentiellen Käufer weiter.
Ein weitgereistes deutsches Paar hilft mir bei der Entscheidung über den nächsten Aufenthaltsort weiter. In Chiang Mai wird am Wochenende bei Vollmond das berühmte Loy Kratongfest gefeiert. Dort hat es wohl seinen Ursprung und wird am authentischsten und überschwänglichsten zelebriert. Der Nachteil: Die Stadt liegt nicht auf meiner Route und der Liegebus ist teuer. Nächste Variante: Der vielgelobte Strand von Koh Chang oder dem kleineren Ko Kood an der Ostküste. Allerdings müsste ich dann für die Abholung des mir per Western Union geschickten Geldes nach Bangkok zurück und von dort dann wieder nach Osten, z.B. Surin, Ubon Ratchanthani, um nach Pakse im Süden von Laos zu kommen.
Morgen nach dem Frühstück muss ich den Bus für Samstag buchen.
Kanchanaburi - 16.11.2013
Gute Nachrichten von zu Hause: Visakarte ist gesperrt, keine weiteren Abhebungen, Edith wird Anfang nächster Woche einige Scheinchen verschicken an Klaus Jürgen Dupper, Bangkok, Thailand. Western Union machts möglich.
Damit kann die Reise beginnen. Bis jetzt war es Stillstand, ab jetzt kommt Bewegung in die Sache.
Alle Varianten der Reiseroute haben sich als schwierig erwiesen. Ko Samui für einige Tage lohnt nicht die weite Anreise und zurück, ähnliches gilt für Chiang Mai, wo am Wochenende das berühmte Loy Kratong stattfindet. Thomas in Petchaburi war nicht zu erreichen und gegen Koh Chang sprach, dass man am Pier etwa um 19 Uhr bei Dunkelheit ankam, ein Bungalow zu moderatem Preis innerhalb einer Stunde nicht zu reservieren war. Also blieb nur diese Variante.
Heute nach dem Frühstück im lauschigen Garten des Lamphu House fuhr mich ein Tuk Tuk rasant zum Southern Bus Terminal, von dort mit dem knattrigen Lokalbus nach Kanchanaburi, der Stadt am River Kwai.
Da ich ganz vorne, fast neben dem Fahrer sitze, habe ich ungehinderten Blick auf das Land - und es gibt Kaffee und Kekse. Die Stimmung im etwas überfüllten Bus ist blendend.
Es wird gelacht, laute Unterhaltungen in den langgedehnten, hohen Thailauten.
Bis Nakhon Pathom geht es fast 100 km nur durch ein Häusermeer, sechsspurig, und der goldglänzenden Nagaschlange, die sich über 100 m lang auf dem Mittelstreifen räkelt.
Danach öffnet sich die Landschaft, im Hintergrund erscheinen immer höhere Hügel, Berge sogar. Die Ebene ist grün. Ich liebe das Grün der Reisfelder.
Irgendwann hellt sich die Wirklichkeit noch mehr auf, ein Mönch steigt zu. Und weil ich ganz vorne sitze, stiert er fast krank auf meinen Sitz. Ich habe verstanden und rücke etwas zur Seite. Mönche haben sich in der Öffentlichkeit durch die lange Latte ihrer wirklich entsetzlichen Entsagungen das Privileg ergattert, kostenlos und auf den besten Plätzen zu reisen. Da jetzt die Hostess Mineralwasser verteilt, komme ich mit dem Buddhisten augenblicklich in Kontakt, weil ich seine Flasche von der Dame zu ihm weiterreiche. Damit keine ungehörige Berührung zwischen Mönch und Frau, sprich Sinnesfreuden und Gefahr, stattfindet.
Er sitzt jetzt engangeschmiegt an mich auf der Bank und versucht offensichtlich zu meditieren. Seine mehrmaligen Versuche, sich im Lotussitz einzurichten, scheitern. Ich merke aber zu spät, dass er mit dieser Raffinesse die Schlacht um einige Zentimeter der Bank eindeutig zu seinen Gunsten entschieden hat. Aus den tiefen seiner orangenen Robe klingelt dann ein Mobiltelefon. Wie ich annehme, ruft sein Kloster an, denn er redet mit großer Sanftmut. Und dies während im Fernseher über uns überlaut ein thailändischer Streifen von apokalyptischer Grausamkeit dröhnt. Zeitlupenhinrichtungen und gegenseitiges Schädeleintreten stehen auf dem Programm.
Während ich ungeduldig auf meinem Plätzchen rutsche und gänzlich unpassende Versuche unternehme, den Fahrer zum Abschalten zu bewegen, sinkt mein Mönchlein - unbeeindruckt vom Hauen und Stechen - in seligen Schlaf, sein Kopf zutraulich an meiner Schulter.
Das ist ein Stückchen Asien.
Der Europäer sitzt zermürbt und ohnmächtig von so viel Bestialität neben einem Asiaten, der gerade das tut, was ihm am besten scheint. Er entzieht sich sehr weise einer Realität, die er nicht ändern kann. Und er denkt nicht daran, an ihr zu leiden. Was ist besser: Meine zornige Ohnmacht oder sein friedlicher Schlaf?
Früh am Mittag Ankunft in Kanchanaburi, nur wenige km von der Grenze zu Myanmar entfernt. Ein spindeldürrer, älterer Rikshafahrer spricht mich an und bietet meisterhafte Gestikulationen auf - ich kann ihn nicht abweisen. Er verstaut mein Gepäck, ich sitze bequem auf der gepolsterten Bank und er stemmt sich verzweifelt gegen mein Gewicht, das er nun in Bewegung setzen muss. Und diese Tortur des Anfahrens nach jedem Halt. Welch eine Schinderei!
Ein Zimmer ist schnell gefunden, im altehrwürdigen Backpackerparadies „Jolly Frog“, unmittelbar am Kwai Yoi gelegen. Das Zimmer in einem Langhaus mit Balkon und Blick auf den Fluss ist etwas muffig, hat aber eigenes Dusche und Fan, kostet unbegreifliche 200 Baht=5 Euro (eigentlich für 2 Personen).
Das Paradies ist jedoch nur noch zur Hälfte mit jungen Backpackern besetzt, der Rest ist Altenheim. Auf meiner Seite des uförmigen langen Gebäudes um einen wunderschön angelegten tropischen Garten mit Liegestühlen und Hängematten wimmelt es von
alleinstehenden Rentnern mit jungem, knackigem und kleingewachsenem Anhang.
Mein Unwohlsein darüber verliert sich schnell, nachdem ich Allan, einen 45 Jahre alten Franzosen beim ersten Lassi kennenlerne. Er erzählt mir von seinen außergewöhnlichenReiseerlebnissen der letzten Jahre in Indonesien und Myanmar, zeigt phantastische Fotos von nicht touristischen Orten des Landes, in das er in einer Woche zurückkehren wird. Bis er das Visum in Bangkok erhält, will er hier ein wenig relaxen. Besonders faszinierend ist seine Leidenschaft für Boote. Seit einem halben Jahr lebt er in Sulawesi-Indonesien an einem traumhaft schönen, gottverlassenen (ein bemerkenswertes Adjektiv) Strand. Sein Ziel: Er lässt sich gerade ein großes, 26 m langes Segelboot aus Eisenholz bauen, ein traditionelles Boot, gemixt mit westlichen und eigenen Ideen. Mit diesem Segelschiff will er dann in einem oder zwei Jahren in indonesischen Gewässern und Tauchgefilden kreuzen - um damit sein Geld zu verdienen. Die Bilder und Videos vom Bau machen großen Eindruck auf mich, auch seine Art, sich in Geschichten zu verlieren. Sehr angenehm und vor allem interessant.
Das Wetter ist im Moment nicht so berauschend, leicht bewölkt und gerade mal 28 Grad, so dass man kaum ins Schwitzen kommt. Ich werde mir demnächst ein Fahrrad zulegen und die Tage mit kleinen Touren in die Dörfer der Umgebung verbringen.
Kanchanaburi - 18.11.2013
Der Ort ist verhunzt.
Die Hauptstraße entlang regiert links das Verlangen und rechts hockt die Gier - beide mit triefendem Maul. In den neuen Bars läuft im Hintergrund auf Riesenleinwand die Premier League, davor hocken ältere Bierliebhaber, die von jungen und manchmal auch hübschen Geldanbeterinnen, aber immer mit kurzen Röcken und enganliegenden Kleidern, angehimmelt werden. Und das Schlimme ist, du siehst nie einen anderen Grund als Geld. Wie beschämend das ist. Nicht für mich.
Auf meinem ersten kleinen Spaziergang treffe ich kurz Allan, der schon wieder zurückkehrt. Er hat genug gesehen und sein Urteil steht fest: Zu viele „Lost people. I’m a dreamer und passe nicht hierher“. Damit war alles gesagt.
Ich habe Gelegenheit, einige der „lost people“ näher kennen zu lernen. Mein erstes Gefühl: Sie sind verdammt einsam. Andererseits, wer ist das nicht. Aber sie sind kaum in der Lage, ihren fatalen Zustand zu erkennen. Sie fühlen sich wohl, sind die Herren und Helden, aufgerichtet und aufgewertet von ihren gelangweilten Püppchen, mit denen sie meist kein Wort austauschen können. Ein peinlicher Anblick!
Ein elendiges Bild. Keine Spur von Aufrichtigkeit, alles nur Berechnung, aufgesetzte Maske, alles nur bedauernswertes Elend, in sprachlose Liebe und Zuneigung gekleidet. Man hat schon beim Zuschauen ein unangenehmes Gefühl und schaut kaum hin.
Alles billig! Wie das Guesthouse, das Essen, eben alles hier in diesem Ort. 200 Baht für das Zimmer, 100 Baht für das Champignon Steak mit pommes und Salat, 50 Baht für 0,6 Chang Beer. Acht Euro für Übernachtung (für 2) mit Abendessen samt Bier. Geiz ist auch hier geil - stößt aber gewaltig ab!
Nach dem Abendessen erzählt Allan bei einem weiteren Bier seine Geschichten und es fallen immer wieder in gute Sätze gestanzte Erkenntnisse, Lebenserfahrungen und ich wünschte mir nach dem Gespräch nichts sehnlicher, nochmals nach eigenen Ideen leben zu können, vieles korrigieren zu können. Prinzipiell stehe ich natürlich hinter meinem Lebensweg und bedaure nichts.
Dennoch: Das Ideal ist ein selbstbestimmtes Leben, der eigene Weg. Den Siddharta gesucht hat und den er eventuell gegangen ist. Diesen Weg gehen zu können ohne die Irrungen und Wirrungen der Sachzwänge, des Zufalls und der Entscheidungsunlust oder gar -unfähigkeit, ist ein inniger Wunsch des Menschengeschlechts.
Dabei helfen könnte ein „second service“, als Korrektiv. Immer dann, wenn eine Entscheidung als falsch erkannt wird, sollte man eine zweite Chance erhalten, der Film des Lebens würde zurückgespult und mit der neuen, jetzt natürlich besseren Entscheidung, fortgesetzt. Aber ich fürchte, diese Version führte zu nichts mehr als zu einer großen Illusion: Aufrechter Gang und Selbstverantwortung. Unsere typische Gangart ist viel mehr das Taumeln, Stolpern, das Fallen, aber auch das Aufstehen.
Ich weiß natürlich, diese meine Zweifel zeugen nicht von großer Balance, innerer Harmonie oder von Ausgeglichenheit. Aber hängt nicht jeder von uns seinen unerfüllten Träumen nach? Und ist es nicht unser Menschenrecht, die vielen selbstverschuldeten und geschehenen Fehler auch als Fehler zu bezeichnen? Haben wir nicht alle etwas verloren, wenigstens im Sinne von Sisyphos.
Am Morgen auf einer fünfstündigen Radtour durch die Dörfer auf der anderen Flusseite des River Kwae konnte ich miterleben, wie entspannt die Familien beim BBQ vor ihren Häusern saßen und palawerten, an undefinierbaren Fleischteilen vom Grill knabberten und miteinander lachten. Heute ist Sonntag und Loy Kratong. Das Lichterfest bei Vollmond im November nach Ende der Regenzeit beginnt nach Sonnenuntergang am Fluss. Dort werden Lichter- und Blumenschiffchen zu Wasser gelassen, um so der Wassergöttin zu huldigen und natürlich auch dem eigenen Glück auf die Sprünge zu helfen. Ich habe schon ein hübsches Schiffchen an einem Kinderstand am Straßenrand erstanden und werde es am Abend für unser aller Glück auf seine Reise schicken. Mit dem Bewusstsein, dass Wunder in unserer rationalen Welt keinen Platz mehr haben, aber nichts auch unmöglich ist.
Thailand hat eine Landplage. Die Hunde.
Kurz vor der Brücke nach Kanchanaburi zurück rennt plötzlich und aus heiterem Himmel ein ziemlich großer Köder aggressiv bellend neben mir her. Der Bastard fletscht die Zähne und kommt mir beängstigend nahe. Er hüpft immer wieder an mir hoch, so als wollte er mir in die Wade beißen. Ich habe keinen Stock dabei, mit dem ich ihm seine tollkühnen Ideen hätte austreiben können, also fletsche ich mit meinen Dritten zurück. Und weil ihn dies nicht im geringsten beeindruckt, trete ich stärker in die Pedale. Zum Glück handelt es sich bei ihm um ein relativ konditionsschwaches Exemplar. Stellt sich allerdings die Frage, warum sich der „Looser“ ausgerechnet mich ausgesucht hatte.
Im Moment sitze ich im Liegestuhl am Fluss mit Blick auf das andere Ufer mit Mangobäumen und überhängenden Palmen. Ab und zu rattert ein Schnellboot mit lautem Außenborder vorbei, seltener schon ein lang vorher hörbares und mit schriller und langanhaltender Musik vorbeiziehendes, vollbesetztes Partyboot.
Heute der Wunsch auf eine Zugfahrt nach Nam Tok, Endstation der berühmten „Thailand-Burma-Railway“, die die Japaner im 2. Weltkrieg von 200 000 asiatischen Zwangsarbeitern und etwa 60 000 alliierten Kriegsgefangenen durch den Dschungel in unübersichtlichem Gebiet bauen ließen. Von Thonburi-Bangkok fahren heute noch Züge nach Nam Tok durch eine wunderschöne Landschaft, vorbei an riesigen Reis- und Zuckerrohrfeldern mit den dichten Urwäldern im Hintergrund. Dort wo die Maniokpflanzen durch die Fenster schlagen, beginnen die Felsen, an die nun die Bahngleise eng angeschmiegt sind. Besonders eng an der Stelle, wo die „Railway of Death“ im Schrittempo über den nicht sehr vertrauenserweckenden „Wang Po-Viadukt“ rollt.
Das Züglein sollte laut Fahrplan um 10 Uhr 30 abfahren, am Ticketschalter rührte sich aber lange nichts. Auch standen kaum Leute auf dem kleinen Bahnhof an der Brücke zum Kwai. Etwas nach 11 Uhr verkündete ein junger Beamter in schicker Uniform, der Zug habe Verspätung und komme wohl erst nach 12 Uhr.
So verzichtete ich großzügig auf diesen bequemen Genuss schwang mich aufs Rad zur eiber neuerlichen kleinen Tour durch die Umgebung. Als ich das Kloster „Wat Tham Mongkorn Thong“ passierte, konnte ich feststellen, dass Wunder in unserer Zeit leider keine Wirkung mehr haben. Der überdachte Pool am Fuße des Berges, in dem die „floating nun“ bisher ihre Fähigkeit vor Publikum zeigte, meditierend auf dem Wasser zu schweben, war verlassen. Außer mir interessierte sich niemand für diese Wundertat. An der Spende von 10 Baht wird es doch nicht gelegen haben?
So besuchte ich 2 weitere Tempel auf der Rundstrecke am Fluss entlang, wobei der Höhlentempel Wat Ban Tham mit seinem Gängesystem im Kalkstein besonders aufregend war. Die Ruhe, der Frieden und die Beschaulichkeit in diesen weitläufigen Klosteranlagen, die schon wie kleine Dörfer wirken, ist ein großer Segen.
Auf der Rückfahrt kam Wind auf, der mir direkt in die Nase blies, und so musste ich beim Fahren einige Kraft aufwenden. Außerdem schien heute wieder die Sonne gewohnt heiß vom Himmel und selten konnte ich im Schatten strampeln, so dass ich gut geschafft im Jolly Frog ankam.
Am frühen Abend fuhr ich mit Alan und Antonia, zwei Franzosen, über die Brücke zu „Apple & Noi“, einem netten Restaurant direkt am Fluss, in dem Edith und ich vor einem Jahr schon mit Genuss gegessen und mit großem Spaß auch gekocht hatten.
Ubon Ratchathani - 22.11.2013
Mit dem Anflug vieler Scheine hat sich der Zustand schlagartig geändert.
Die Lust zu entdecken ist zurück. Zuerst mit dem Expressboot auf dem Chao Phraya zum gigantischen Wat Pho, dem Tempel des „Liegenden Buddha“. Besucht man auch die hinteren Bereiche der Klosteranlage, kann man dem Trubel im Eingangsbereich aus dem Weg gehen.
Im Jahr der Französischen Revolution ließ Rama I. die weitläufige Tempelanlage bauen. Etwa 300 Mönche leben dort und damit ist Wat Pho das größte Kloster von Bangkok. Unter der Regentschaft von Rama III. wurde hier eine Medizinschule gegründet, die ab 1955 in ein Massagecenter umgewandelt wurde. Da ich die Kamera im Guesthouse gelassen hatte, beschränkte ich mich darauf, im Schatten eines Bodhibaumes die Ruhe des von den Touristengruppen aus aller Welt vernachlässigten Bereichs zu genießen. Nach einer scharfen Nudelsuppe an einem Essensstand des Tha Chang Piers bestieg ich auf der anderen Flussseite den Wat Arun, den ersten Tempel der Rama-Dynastie mit großartiger Aussicht auf die Flussscheife und deren Anlagen wie Königspalast und Wat Phra Kheo.
Mit einem Kamikaze-Tuk Tuk zum Bahnhof, wo mich ein anfangs trödelnder und an jeder kleinsten Station anhaltender Nachtzug bei erstaunlich viel Schlaf im lower bed in 13 h 650 km nach Osten schaukelte: nach Ubon Ratchathani. Je weiter sich der Zug nach Osten vorarbeitete, desto mehr ähnelte die Fahrt einem Rodeoritt auf einem wilden Stier. Ich drohte mehrfach aus dem Bett zu fallen.
Überhaupt, Fahrpläne scheinen keine wichtige Rolle im Leben der Thailändischen Eisenbahn zu spielen. Der Zug sollte um 20.30 Uhr den Bahnhof verlassen und ich saß auch schon länger auf meinem Sitz. Alles schien startbereit und dennoch: Der Zug verließ den Bahnhof um 21.45 Uhr, um kurz danach wieder zu halten und ewig zu stehen. Dieses undurchschaubare Warten wiederholte sich in den ersten Nachtstunden mehrfach.
Am Morgen fuhren wir durch ewig weite und zum großen Teil abgeerntete Reisfelder, einige Zuckerpalmen oder Regenbäume dazwischen. Viele der Felder standen schon oder so kurz nach Ende der Regenzeit noch unter Wasser und die Sonne lässt die Felder bis zum Horizont glitzern.
Nordost-Thailand wird gern als Isarn, Isan, Isaan usw bezeichnet und ist die größte und ärmste Region des Landes. In der überwiegend flachen und trockenen Landschaft wird hauptsächlich Reis angebaut und die Ernten auf den dürren Lateritböden fallen oft recht mager aus, weshalb das Pro-Kopf deutlich unter dem Durchschnitt liegt.
Naürlich wurzelt diese Region historisch im alten Mon-Khmer-Königreich und dem von Angkor. Aber nicht nur Einflüsse von Kambodscha, sondern auch von Lao oder gar Vietnam sind hier zu spüren. Die Lebensfreude der Menschen soll legendär sein, was sich auch in einer Vielzahl an Festen ausdrückt und an ihrer großen Tanzfreude nach - ganz ungewöhnlich - besonders rhythmischer Musik.
Offensichtlich befinde ich mich hier in einer anderen Welt.
Die Menschen lächeln wieder bei jeder Kleinigkeit - und sie reden kaum englisch. Farangs (Ausländer) habe ich im Zug und auf den Bahnhöfen auch nicht gesehen. Nach der „Morgentoilette“ und dem Beseitigen der Betten saß ich einer - wie sich später herausstellte - 57jährigen Mutter von 2 Kindern gegenüber (wir zeigten uns gegenseitig Bilder von unserer Welt). Sie bemühte sich krampfhaft, mit mir ins Gespräch zu kommen, hatte wohl auch einige englische Wörter parat, ich konnte sie aber kaum als solche identifizieren. Und mit meinen 4 Wörtern war auch kein Staat zu machen. So beschränkte sich unsere Kommunikation auf Gesten und Zeichen. In Ubon am Bahnhof kümmerte sie sich rührend um mein Weiterkommen, zeigte mir die richtigen Taxis mit Taxameter, verhandelte mit dem Fahrer, der mich erst ins Ubon Hotel bringen sollte und dann sie nach Hause, wofür ich einen lächerlich kleinen Betrag zahlen sollte. Im Betonkasten eines Hotels sprach an der Rezeption niemand so richtig englisch und beim ersten Spaziergang durch die Stadt war alles deutlich billiger als in Bangkok oder den Touristengebieten. Alles auch einfacher.
Ebenso die Tempel, die nicht wirklich sehenswert sind und auch keine Magie ausstrahlen, sondern protzig ihr Gold und Geglitzer zur Schau stellen.
Überbordende Hässlichkeit von überladenen Kultgegenständen und -figuren in dieser Welt der „Meditation“, in der nicht alles Gold ist, was da glänzt und die Augen der Gläubigen möglicherweise blendet.
Man sehnt sich richtig nach den schlichten und hübschen laotischen Tempel.
Dafür war der Papayasalat (der von hier kommen soll), die Spezialität von hier: Laab phet (gehackter Entensalat) und eine scharfe Hühnersuppe am Stand auf dem Nachtmarkt ausgezeichnet.
Ubon ist quadratisch, praktisch angelegt und hier sollen - kaum zu glauben - 250 000 Einwohner leben. Eine typische langweilige Provinzstadt, die sich selbst genügt. Außer den hässlichen Tempeln findet der Besucher nur noch einen Park und den umtriebigen Nachtmarkt. In den schnurgeraden Straßen neben den wenigen Handwerkerläden, den Werkstätten und Garküchen ein Kleinhandelsgeschäft am anderen mit Warenbergen bis unter die Decke und gerade werden weitere Kartons abgeladen. Du weißt nicht, wohin verstaut. Von Nachfrage aber nirgends eine Spur. Solche Städte, die es überall in Asien gibt, werden mir ewig Rätsel aufgeben.
Der Park und Nachtmarkt in der Nähe des Ubon Hotels wird in den Abendstunden laut und lebendig.
Überall wird gespielt, Fußball, Basketball, Badminton, Volleyball, Gymnastik, Jogging, Aerobic zu lauter Musik und Anleitung. Auf den Rasenplätzen unter den Tamarinden hocken die Leute in Gruppen, palawern und lachen und daneben qualmen die Grills und werden dampfende Curries zubereitet. Quirliges, asiatisches Treiben eben.
Der Grenzübertritt morgen nach Laos gestaltet sich möglicherweise etwas kompliziert. Ich habe annähernd 10 Einheimische (darunter die Hotelrezeption, die Dame von der Touristeninformation, sowie Taxi- und Tuk Tukfahrer) nach dem Grenzübertritt gefragt und ebenso viel Varianten als Antwort erhalten. Herausgefiltert aus all den Widersprüchen habe ich: Es gibt zwar einen Direktbus nach Pakse/Laos, der die Strecke in 2 h zurücklegt. Für ihn benötigt man schon ein Visum im Pass. Geht für mich also nicht. So muss ich wohl mit dem Tuk Tuk zum Busbahnhof, dort einen Bus zum thailändischen Grenzort (von denen es 2 geben soll) Chong Mek nehmen, den Ausreisestempel in den Pass bekommen, zu Fuß mit Gepäck 1 km zur laotischen Immigration marschieren, um die Visaformalitäten (die dauern können - Papierkram eben) zu erledigen. Und dann auf eine Fahrgelegenheit ins 38 km entfernte Pakse zu hoffen.
Aber in Asien regelt sich vieles einfacher als man erwartet - mit Ausnahme der Grenzübertritte. Die können es in sich haben.
Pakse - Laos - 24.11.2013
Die Fahrt hierher war tatsächlich erträglich. In Asien liegen die Dinge eben einfacher, als man sich vorher denkt.
Ein Taxifahrer brachte mich für wenig Geld also um 8 Uhr 30 zum Busbahnhof und lieferte mich dort direkt am Minivan ab, verhandelte gar mit dem Fahrer. Ich musste nur zahlen, hatte einen gemütlichen Sitzplatz, Gepäck wurde selbstredend (dafür war der Preis für die Fahrt mit 100 Baht=2.50 wahrscheinlich doppelt so hoch, ok) verstaut. In 2h war ich an der Grenze, hatte meinen Ausreisestempel, latschte etwa 500m zur laotischen Immigration, erhielt die Formulare, füllte sie in 10 Minuten aus, zahlte die Visagebühr von 30 USD und ein 1 USD (offizielle Korruptionsgebühr), weil Samstag war. Es war wenig los an der Grenze und so wartete ich max. 10 Minuten auf meinen Pass mit Visum und marschierte nochmals etwa 500 m zur Passkontrolle. Außerhalb sollten die Songthaews warten, stand aber keines, nur Minibusse. Ein Fahrer sprach mich an, nannte den Preis nach Pakse (wieder 100 Baht, wieder deutlich mehr als üblich - man erkennt es am zufriedenen Gesichtsausdruck) und lud mein Gepäck ein. Jetzt hieß es warten. „Mein“ Fahrer sprach jetzt jedem potentiellen Mitfahrer ins Gewissen, manche ließen sich breitschlagen und schon nach einer Stunde waren alle 10 Plätze bestzt und es ging los. Um etwa 12 Uhr 30 war ich in Pakse. Toll.
Ich fühl mich jetzt auch endlich on the road!
Aber welch Unterschied in beiden Welten. Die Armut springt ins Auge wie ein brüllender Tiger.
Hier die modern gestaltete Abfertigungshalle auf thailändischer Seite und dann die schwarzverschimmelte Betonfassade der Immigration und die windschiefen Bambushütten entlang der Strasse.
Ich hatte keine Erinnerung mehr an diesen großen Unterschied und war sprachlos - obwohl ich schon länger nichts mehr gesagt hatte.
Sicher schon seit den frühen Morgenstunden schuften sie hier, ziehen per Hand die vollgestopften Karren von einem Land ins andere. Vom reichen Thailand zum armen Nachbarn. Und umgekehrt. Kinder, Kulis, Frauen, Alte, jeder zerrt, jeder schiebt, jeder muss leben. Irgendwie.
Die kleineren Laoten waren durchweg ärmlicher, auch traditioneller gekleidet, viele zahnlos und mit gegerbter, ledriger Haut. Wenn sie an mir vorbeischoben mit den dünnen Ärmchen bei der erbarmungslosen Arbeit, zu den Lastwagen und Bussen an mir vorbeischoben, blickten sie nur selten zu mir auf, dem einzigen Ausländer.
In ihren schnellen Blicken aber sah ich so etwas wie Verwunderung oder auch Neugier aufblitzen.
Dann die Hütten in den Feldern, in den Dörfern, die wir passierten. Kaum zu glauben, dass dort noch Menschen hausen, eine Heimat haben, dorthin nach Hause gehen nach der Arbeit. Schiefe Hütten auf Stelzen so krumm, aus vergammelten Bambusmatten zusammengeflickt, von Plastikmüll umschwemmt, kleine nackte Kinder beim Spielen, mittendrin.
Die Straßen voll wie in Afrika.
Menschen, vollbepackt wandern am Straßenrand, Tiere - ganze Pulks von Wasserbüffeln, Ziegenherden, Kühe und Rinder, und Hunde, so viel Streuner - Menschen laufen kreuz und quer, verkaufen ihre Früchte und Wurzeln direkt am Rand, reagieren erst spät auf das nervige Gehupe.
Jetzt in der Stadt sind die Verhältnisse etwas besser, weil Autos und Häuser für die Touristen bereitstehen, schick und modern, sauber und komfortabel. Der Tourismus steht an 2. Stelle der Devisenbringer. An erster Stelle erstaunlicherweise der Bergbau und der Holzexport. Gemeint sind Mineralien, Bodenschätze und der Waldreichtum des Nordens. Dazu muss man wissen: jeder 10. Laote nur arbeitet im Dienstleistungsgewerbe und noch mal soviele in Handel, Industrie und Handwerk. Aber 80 % der Menschen hier sind Bauern oder Fischer mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze von 1-2 USD pro Tag (Pro Kopf Einkommen 2009 = 740 USD jährlich. Alles klar?)
Und da die große Mehrheit des Volkes aus den Dörfern kommt (etwa 5 Millionen bei 6,5 Millionen Gesamtbevölkerung), hat sie keinerlei oder kaum Bildung genossen. Auf dem Land gibt es wenig Schulen und so liegt die Analphabetenrate bei über 40 %. Und noch einige zahlen, die das Bild etwas abrunden:
Auf den Dörfern haben nur etwa 53 % Zugang zu sauberem Trinkwasser, die Lebenserwartung liegt bei 65 Jahren, 7 von 100 Kindern sterben unter 5 Jahren wegen Unterernährung. Und ebenfalls eine interessante Zahl: Mehr als 40 % sind jünger als 15 Jahre.
Da verwundert es also nicht, dass dich die mehrheitlich junge Bedienung hierzulande bei jedem englischen Wort, und sei es nur das Wort „Thank you“ mit großen Augen anschaut und verschüchtert zum Kollegen geht, der natürlich auch nichts versteht. Ein Aspekt hier, auf den ich mich in den nächsten Tagen einstellen werde. Was bedeutet, dass ich mir in den nächsten Tagen einige laotische Brocken zulegen werde.
Hier einige Kostproben zur Erläuterung:
„Sabai Dii“ - „Guten Tag“, „Khoptschai lai lai“ - „Danke“, „anii lakha tao dai?“ - „Wieviel kostet das?“, „Khor bin dae“ - „Die Rechnung bitte“, „ju sai horng nam bar?“ - „Wo ist die Toilette?“ usw.
Aber natürlich sind die Menschen hier freundlich, sind wie die Kinder eigentlich. Sind so groß wie die, meist, lachen gern und oft, prusten richtig. Sie sind froh, wenn du auch lachst. Dann scheint ihre kleine Welt in Ordnung.
Laos war schon immer ein armes Land.
Aufgerieben zwischen den Großreichen Angkor, Birma und Siam. Aber auch in den wenigen Jahrzehnten des laotischen Königreiches litt das Volk als Sklaven unter den Schikanen der kleinen Adelsschicht und der wenigen Freien im Land. Und danach die Herrenreiter der französischen Kolonialmacht
So entwickelte sich eine nationale Identität erst mit der Unabhängigkeitsbewegung nach dem 2. Weltkrieg, angeführt vom Pathet Lao und den linken Prinzen, die schließlich nach vielem Leiden im 2. Indochinakrieg der CIA und der Amerikaner 1975 in der PDL Lao endete.
So etwas wie eine historische Tradition lebt nur auf dem Lande im schlichten und anspruchslosen Leben in den Dörfern weiter, in denen die mehr als 50 Ethnien ihre überlieferten Bräuche und animistischen Rituale weiterführen, stark geprägt von den Gesetzen der Natur und den regionalen Bedingungen. Uhren sind in dieser Welt nicht nötig, doch leider treibt die große Illusion des Fernsehens die jungen Menschen fort von der Familie und dem heimatlichen Dorf in die touristischen Gefilde.
Und dort sind fast alle Touristen, die ich erlebe (erstaunlich viele Franzosen, sie scheinen ihre Kolonien wieder entdeckt zu haben), bei ihren Bestellungen oder sonstigen Anliegen gestresst.
Es dauert aber auch so lange. Und dann kommt nicht das richtige, der Tisch wird nicht abgeräumt, die Rechnung kommt nicht und wenn sie kommt, sicher mit Fehlern. Mal fehlt ein Glas, dann wieder das Salz, der Pfeffer. Immer muss man ihnen nachrufen. Schrecklich!
Die kleinen Jungen und Mädchen sind einfach überfordert und haben keine Ahnung von den Standards der Ausländer. Zum Cheeseburger mit Pommes muss es doch Ketschup geben! Na klar! Nur - das Mädchen hat noch nie im Leben Cheeseburger gegessen. So einfach ist das.
Ein Kopfschütteln ist das von allen Seiten, wenn das Mädchen wieder mal mit hochrotem Kopf abzieht - und alles falsch gemacht hat. Die Blicke untereinander sind sich richtig einig. „Phhh, ist das ein Service! Die müssen aber noch viel lernen.“
Mir tun die Kleinen nur leid.
Und als ob wir gar nichts zu lernen hätten von ihnen.
Was bloß?
Die Laoten lassen dich absolut in Ruhe.
Wenn du müde von deinen Erkundungen am Mekong entlang auf altersschwachem Fahrrad, bei dem sowohl Lenker als auch Sattel alle 5 Minuten ihre angestammte Position aufgeben, die dich wie einen Zwerg auf Rädern erscheinen lässt, die gnadenlose Mittagshitze dir den Hals gehörig ausgetrocknet hat und du dir nichts sehnlicher wünscht als ein eiskaltes Getränk, wenn du dich dann auf den Stuhl irgendeines Flussrestaurants fallen lässt - sei dir gewiss, die Laoten lassen dich in Ruhe.
Manchmal, wenn ich die Traveller mit ihren übergroßen Rucksäcken durch die Straßen hier irren sehe, habe ich den Eindruck, dass sie sich fremd fühlen und nicht zurecht kommen in dieser fremden Welt. Welch beschissenes Gefühl!
Ein Genuss, sich in Paul Austers Autobiographie mit dem Titel „Winterjournal“ zu vertiefen. Schon im Flieger nach Bangkok habe ich damit begonnen. Ihm gelingt es, durch die vielen Facetten seiner Geschichte, die er eindrucksvoll und meist ehrlich beleuchtet, eine eigenartige Nähe herzustellen. Manchmal ertappst „du dich“, in einer Geschichte, einer Beschreibung dich selbst zu sehen.
Diese unverschämt neuen, unverschämt großen Karossen, die zeitweise am Straßenrand anhalten und aus denen lässig kleine, aber gut gekleidete und gepflegte Laoten entsteigen. Diese niegelnagelneuen Schlitten für zigtausende von Euros, weißglänzend und geschniegelt, müssen auf die einfachen Leute wie Gefährte von Außerirdischen wirken.
Fortbewegungsmittel, die nicht den Reichen oder Touristen dienen, sind meistens heruntergekommen und durchgerostet und fahren ständig ihrem unaufhaltsamen Sekundentod entgegen.
Am späten Nachmittag zur Bank. Geld wechseln für die Insel Don Det, auf der es keine Bank gibt. Jeder, der sie betritt, muss vor der Türe die Schuhe ausziehen. Ein Aufpasser ist eigens dafür abgestellt. So stehen alle mit nackten Füßen vor dem Schalter. Wie bei Buddha im Tempel.
Kann man besser als barfüßig die Ehrfurcht vor dem Geld ausdrücken?
Beim Schlendern durch das abendliche Pakse fällt mir ein leeres Lokal auf, in dem ich die Bedienung auf einem Stuhl schlafen sehe. Ich trete ein. Irgendwie beruhigt mich die Szene. Weil hier eine Ahnung von Alleinseindürfen zu spüren ist und der neue Fremde nicht das geringste Interesse weckt. Es wird weitergeschlafen. Nach einer Ewigkeit taucht hinter einem Vorhang eine Alte auf, nimmt meine Bestellung auf und eine weitere Ewigkeit später steht mein kaltes Beerlao vor mir. Es herrschen die einfachsten Zustände. Ein vehementes Gefühl von Ruhe, Gelassenheit und Zeitlosigkeit breitet sich in mir langsam aus.
Der normale Europäer wird lächeln über so viel Unsinn.
Wer aber jemals durch Asien kam, kennt dieses Gefühl. Es gibt keine intelligente Erklärung dafür. Es schleicht sich einfach in die Seele, ohne Vorwarnung.
Wenn du klug bist, hälst du still.
Morgen mit dem Lokalbus nach Champasak!
Champasak - 26.11.2013
Früh aufgewacht und schon vor 8 Uhr mit Tuktuk auf dem Weg zum Neuen Markt in Pakse.
Dort beginnt dann die Kurzreise nach Champasak (35 km auf der anderen Mekongseite) erst richtig. Das nächste Songthaew hat außer mir erst einen an der Nase verletzten Mitreisenden.
Da aber Markt ist, kommen immer wieder Bäuerinnen mit vollbepackten Wagen an: Kartons, große Tüten mit Gemüse und Obst aller Art, Taschen, große Eierpakete, Hühner sogar. Alles muss aufs Dach, aber immer noch viel genug wird unter und auf den Bänken verstaut. Nach einer Stunde scheint das klapprige Songthaew voll. Als Westler hat man aber keine Ahnung, was in ein solches Gefährt hineinpasst. Es dauert noch 1/2 h und 4 weitere Bäuerinnen, darunter eine 100jährige Schlanke, die wie eine Turnerin den Kleinbus besteigt, und ihre 100 Tüten haben noch Platz gefunden. Es geht los. Aber nur wenige 100 m. An einer kleinen Reisfabrik werden noch 4 x 50 kg Reissäcke auf die Plattform gestemmt und hinter der Brücke zuckeln wir auf sandig-geteerter(?) Straße am Mekong entlang. Immer wieder hält der „Transporter“ und auf wartende Tuktuks mit Ladeflächen werden die Unmengen Taschen und Tüten verfrachtet.
Um 10 Uhr 30 werde ich am Anouk Gh direkt am Mekong abgeladen und die Insassen winken mir hinterher und lachen. Worüber?
Das Guesthaus ist sauber und einfach im Garten mit kleinem Bambusrestaurant am Fluss und vielen Hängematten im Schatten großer Bäume.
Das Dorf Ban Vat Thong und viele weitere entlang des Mekong sind als Champasak zusammengefasst, wohl eine alte Königstadt der Cham oder Zhenla, des frühen Khmer-Reiches.
Durch den Ort führt eine rote Staubstraße, die zur Mittagszeit vollkommen friedlich liegt.
Überhaupt ist dies ein gemütlicher Ort, in dem Hektik keine Chance hat. Ganz symbolisch fließen die Wasser des Mekong braun und träge nach Süden, den Wasserfällen und Kambodscha entgegen.
Am Abend sitzen im Restaurant 3 französische und ein belgisches Pärchen. Daneben ich. Das ist neu. Sonst wurde immer und überall englisch gesprochen unter den Ausländern. Dieses Jahr aber muss eine Kampagne gestartet worden sein in Frankreich, „Besucht die ehemaligen Kolonien! Unsere Volkswirtschaft wird es euch danken.“ Ich muss gestehen, dass ich die französische Konversation als Zuhörer eher verkrafte als das laute und bestimmende englisch. Ich habe zwar ähnliche Verständnisprobleme, kann selten lachen, wenn alle lachen, weil der Sinn noch nicht um die Ecke biegt. Aber die Unterhaltung ist mir vom Charakter her sympathischer. Da alle Beerlao und Cocktail Anouxa ( Limettensaft und Honig mit viel Lao Lao auf viel Eis) konsumieren, wird die Runde immer lachanfälliger. Und da ich Mühe habe hinterherzulachen, gehe ich irgendwann als erster - was nicht meine Art ist - in den Schutzraum meines kleinen Bungalows. Man wird sich morgen beim Frühstück oder beim Besuch des Khmertempels garantiert wieder sehen.
Es ist wirklich ein friedlicher Ort, dieses Champasak.
Und dann erst der Khmertempel!
Aber allen Freuden soll ja nach alter Erkenntnis der Schweiß vorangehen. Und das tat er in Mengen. Die 10-12 km nach Vat Phou hatten es in sich. Hört sich lächerlich an. Aber bei diesen Bedingungen war das T-Shirt augenblicklich klatschnass. Zunächst einmal die Hitze, dann das schwergängige Rad und schließlich die unterschiedlichsten Straßenbeläge (Sand, ein Streckenabschnitt wurde gerade mit Schotter aufgefüllt - es war fast nicht zu fahren -, dann grober Asphalt mit vielen Schlaglöchern und wieder rote Erde. Die Hinfahrt nach dem Frühstück war noch erträglich, aber die Rückfahrt! Die Mittagshitze schnürte fast die Luft ab.
Doch die Anlage des Khmer Heiligtums war die Anstrengungen wert.
Schon die Lage ist sehr symbolträchtig und man kann erahnen, warum die Khmer an dieser Stelle einen Tempel errichteten. Der Gipfel des Berges Phou Khao (1416 m), an dessen Hängen Vat Phou steht, ist von einem 16m hohen Fels gekrönt, den die frühen Völker als Lingam verehrten, das phallische Symbol von Shiva.
Die Forschungen sind jedoch noch nicht abgeschlossen, so dass nicht klar ist, ob nicht vielleicht schon die Cham hier eine Kultstätte hatten. Einig ist man sich, dass im 6. Jahrhundert hier die Hauptstadt des präangkorianische Khmerreiches Zhenla gewesen sein musste.
Vat Phou besteht aus 3 Ebenen am Hang.
Auf einer Ost-West-Achse führt zunächst ein 250 m langer Prozessionsweg zu den beiden Palästen aus dem 11. Jahrhundert.
Danach führt eine erste Treppe, von alten knorrigen Frangipanibäumen gesäumt, auf eine kleine Terrasse, von der aus früher eine Straße den Tempel mit Angkor verband.
Über weitere Treppen erreicht man 100 m höher die dritte Ebene mit dem eigentlichen Heiligtum, das ursrünglich den zentralen Hinduistischen Gottheiten geweiht war: Brahma, den Schöpfer, Shiva, den Zerstörer und Erneuerer und Vishnu, den Erhalter. Erst seit dem 14. Jahrhundert wurde in dem Bergtempel Buddha verehrt.
Oberhalb des Heiligtums befindet sich am Fels eine heilige Quelle, deren Wasser ehemals über eine säulengestützte Leitung zum Heilgtum im Tempelhauptbau geführt wurden. Noch heute gilt das Wasser dieser Quelle den Laoten als glücksbringend.
Von oben hat man einen herrlichen Ausblick auf den Mekong und seine weitgehend bewaldete Ebene und die Stille über dem Land ist betörend.
Ich verbrachte einige Stunden an diesem Ort, ließ mir kleine Küchlein aus Kokosnussteig im Bananenblatt schmecken und genoss Ruhe und Aussicht.
Auf dem Rückweg beobachtete ich in einem der kleinen Dörfer der Ebene einige Männer beim Boulespiel, das sie exzellent beherrschten und viel Spaß hatten. Neben dem Kugelspiel übernahmen die Laoten von den Kolonisatoren noch das Baguette, die Croissants und natürlich die alten Kolonialgebäude in den Städten.
Im „Anouxa“ angekommen, warf ich mich ohne Umschweife in eine Hängematte am Fluss, schlief 2 Stunden selig und war danach wieder bei Kräften. Am späten Nachmittag lag ein seltsam klares Licht auf der „Mutter aller Wasser“ und verwandelte die Uferlandschaft in ein strahlendes Gemälde.
Morgen früh geht es ab ins Paradies!
Zuerst mit dem Boot über den Mekong, dann mit Minibus nach Nakasang und von dort nach Don Det.
Lutz hat einen Bungalow für mich reserviert.
Wie ich mich freue!
Mama Leuah/DonDet/Si Phan Don - 30.11.2013
Angekommen im Paradies.
Eigenartig, wenn man an Orten ankommt, die man liebt, ist das schon fast wie nach Hause kommen.
Die Fahrt dorthin war zwar aufwändig und - wie könnte es bei einem laotischen Bus anders sein - spannungsgeladen. Ein größere Gruppe brach um 8 Uhr nach dem Frühstück auf und setzte auf die andre Mekongseite über. Dort hockten wir dann, 10 Franzosen, 2 Australierinnen, eine Kanadierin und ich, und warteten auf den Bus, sage und schreibe zwei Stunden.
Alle waren schon etwas länger in Laos, hatten sich an das laotische Tempo wohl schon gewöhnt, denn jeder fügte sich in den Lauf der Dinge, las, erzählte, philosophierte, ohne Drängelei und ständiges auf die Uhr schauen.
Der Rest war Formsache. Fahrt im überfüllten Bus irgendwann, auf Plastikhockern im Mittelgang, Ankunft im umtriebigen Nakasang, Bootsüberfahrt nach Taka Pan auf Don Det und von dort 250m auf dem Sandweg nach Süden.
Herzlicher Empfang von Lutz, 2 h Quatschen über Gott (sagt man so) und die Welt bei 2 kalten Beerlao, und dann ab in die Hängematte, ein Stündchen schlummern - als Tribut an die Biere.
Damit war das Paradies und die Welt wieder in Ordnung.
Der Abend wurde dann noch ziemlich bierselig, wie es für ein ordentliches Jubilieren und Hosianarufen nötig ist.
Am nächsten Morgen ein hell strahlender Tag mit einem Himmel so blau, von keinem Wölkchen getrübt. Die Enten und Gänse unter dem Bungalow - der von Lutz mit viel Liebe, Farbe und neuen Utensilien renoviert wurde, richtig gemütlich - weckten mich mit ihrem Geschnatter, der Hahn schon mal um vier Uhr in der Nacht. Bei diesem Himmel und der frischen Brise tankt der Körper blitzartig neue Energie. Verstärkt wird das Gefühl, dass alles gelingen kann, durch 2 Tassen Arabica-Kaffee vom Bolaven Plateau.
Eine kleine Tour um die Insel.
Es fällt auf, dass viel gebaut wird. Nicht nur für die Backpacker. Es entstehen auch neben den Stelzen- und Bambushütten immer mehr Steinhäuser.
Dennoch: Die Verhältnisse, unter denen die Menschen hier leben, sind sehr unterschiedlich. Wer irgendwie Anteil am Tourismus hat, der kann nicht klagen. Er leistet sich dann schon moderne Geräte wie Fernseher, Kühlschrank, Klimaanlage, Mobil und Moped. Das sind aber die wenigsten.
Der größte Teil lebt als Bauer und Fischer auf einem kleinen Anwesen, bestehend aus großem Stelzenhaus und eventuell kleinen Hütten daneben. Auf dem Gelände herrscht richtiges Chaos, enormes Durcheinander von Schrott, Holzabfällen, Müll, irgendwelchen Geräteteilen, Kokosnussbergen, Schläfern in Hängematten und spielenden nackten Kindern.
Dazwischen kokettieren schlanke schwarze Hühner, picken überall wie die Idioten, Enten watscheln (wie könnte es anders sein - hat man schon mal eine Ente schreiten sehn?), Wasserbüffel ziehen ihre unendlichen Kreise, ein Hängebauchschwein liegt unter dem Haus in einem Schlammloch, Kühe und Ziegen stehen ratlos im Reisfeld nebenan, hinter einem schiefen Bambuszaun wächst Gemüse und freut sich auf ein knackiges Ende.
Man stellt Tofu und Reispapier her, lässt beides in der Sonne trocknen, auch den Reis, auf blauer Folie ausgelegt, am Ufer liegt ein schlankes Ruderboot und eines mit Außenborder und auf einem Holzgestänge neben einigen Reusen flattert ein großes Netz im Wind.
Ich habe schon den Eindruck, dass keiner hier hungern muss, jeder genügend zu essen hat. Die Großfamilie sitzt zur Mittagszeit auf Bambusmatten im Schatten, jeder greift in den Reistopf und taucht diese Handvoll in ein Schälchen mit Soße, dazwischen etwas Gemüse- und ein Fleischcurry. Ein kleines vergnügliches Familienfest.
Allerdings sieht man auch große Armut und Elend hier und da. Vor allem am Rande der Dörfer. Dort hausen in kleinsten zerfallenen Hütten Familien und alleinstehende Mütter mit ihren schmutzerstarrten Kindern. Sie leben am Boden, man kann nicht erkennen, wovon sie sich ernähren und will auch nicht wissen, wohin dies noch führen mag.
Das Schöne hier ist, man ist dem Leben der Menschen so nah, direkt hinter dem Bungalow breitet es sich aus, läuft ab wie ein Film, elegisch und beneidenswert sogar manchmal. Wie die Familie in so großer Runde mit diesem unbändigen Lachen und in Frieden leben kann.
Wie die beiden Kleinen auf dem Bambusbett, unter der hohen Bambusstaude zeitlos verrenkt, den Augenblick verschenken ohne Reue.
Wie zwei Jungs mit nacktem Oberkörper in der Abenddämmerung auf ihrem knallroten Boot in der Mitte des Flusses nach trägen Fischen spähen. Alle Bilder verströmen große Ruhe.
In der Hängematte träumen und am Ufer in die Wasser sehn
und im Schatten der Bäume ein Lied von Wecker verstehn:
Konstantin Wecker
„Schlendern
Einfach wieder schlendern, über Wolken gehn,
und im totgesagten Park am Flussufer stehn,
mit den Wiesen schnuppern, mit den Winden drehn,
nirgendwohin denken, in die Himmel sehn
Und die Stille senkt sich leis in dein Gemüt
und das Leben lenkt sich wie von selbst und blüht
und die Bäume nicken dir vertraulich zu
und in ihren Blicken findst du deine Ruh
Muss man sich denn stets verrenken
einzig um sich abzulenken
statt sich einem Sommerregen
voller Inbrunst hinzugeben
wieder mit den Wolken jagen
statt sich mit der Zeit zu plagen
Einfach wieder schlendern, ohne höheren Drang
absichtslos verweilen in der Stille Klang
einfach wieder schweben, wieder staunen und
schwerelos versinken in den Weltengrund
Glück ist flüchtig, kaum zu fassen,
es tut gut, sich sein zu lassen.“
Und danach, die Melodie noch leicht verweht im Ohr, sitze ich am Mekongufer, sehe dem kleinen Glück der Wasserbüffel zu, die bis zu den Nasenlöchern im Wasser stehn und stillhalten und diesen Moment so offensichtlich genießen.
Und die weißen Reiher jagen knapp über der Wasseroberfläche mit den Wolken um die Wette.
Und der verknotete Müllsack nimmt Reißaus und reitet auf den wiegenden Wellen nach Süden, ins fremde Vietnam.
Und der dunkle Seidenteppich segelt absichtslos herab und legt sich ganz sanft und leis auf die Welt.
Ich hätte ihn erwürgen mögen. Seit etwa 3 Uhr in der Nacht verkündet dieser blöde, orientierungslose Kerl den neuen Tag. Immer und immer wieder. Dabei steht er selbstherrlich auf einem umgedrehten Bastkäfig für Kampfhähne, streckt seinen mageren Hals in die Lüfte und sein Ego kann einfach nicht genug kriegen von seiner verlogenen Botschaft. Ich vermute, er nutzt die Stille der Nacht, um sich endlich mal Gehör zu verschaffen. Mehrmals bedrängt mich der Gedanke nach einem Steinwurf, bleib aber friedlich. Zweieinhalb Stunden, bis zum erwachenden Tag, bekomme ich kein Auge zu. Dann wird sein Krähen zur Seite geschupst, geht unter im vielstimmigen Chor der Morgendämmerung. Jetzt ist er wieder einer von vielen - und kein Solist.
Zu den Khon-Phapheng-Wasserfällen.
Am Nachmittag werde ich mit Anja & Kai, einem netten deutschen Pärchen,
vom Boot durch das Wasserlabyrinth zur Attraktion gebracht. Interessant mit welcher Kenntnis von Tiefen und Unterwasserfelsen der Mekong befahren werden muss. Immer wieder drosselt der Bootsführer an seichten Stellen das Tempo oder verschärft es durch die Ministromschnellen, wechselt im Zickzack die Flussseite. An der Uferböschung neben weitverwurzelten, knorrigen Baumriesen und überhängenden Büschen spielen Kinder im braunen Fluss, winken uns mit Hurra und vielstimmigem Sabaidii begeistert zu.
Unsere Begeisterung hält sich am Wasserfall in Grenzen. Angekündigt wird er großspurig mit dem Ettikett „Niagara des Ostens“, messen kann er sich dann aber tatsächlich bestenfalls mit dem Rheinfall von Schaffhausen.
Aber immerhin. Über eine Breite von mehreren hundert Metern stürzen die Wasser 20 m tief tosend über Geröll und Felsen hinab, und zwar 9,5 Millionen Liter Wasser pro Sekunde, liest man. Die ungeheure Kraft und Energie, mit der dies geschieht, ist auch noch aus der Ferne zu spüren. Einige Meter weiter unten findet der Strom aus vielen Fingern, von Felsformationen geteilt, sein breites Bett wieder und treibt belanglos dem Süden und seinem Ende entgegen.
Begeisterung aber auf der Rückfahrt um 5 Uhr der Sonne und ihrem tiefroten Untergang entgegen. Ein wunderschönes Naturschauspiel. Die funkelnden Wellen, die Uferland
schaft im milden Abendlicht, die Ruhe des vergehenden Tages, wenn die Menschen noch schnell ein erfrischendes Bad im Fluss nehmen.
Der Bootsführer steigert den Enthusiasmus noch, indem er für den Rückweg schmale Kanäle mit bizarren Ausblicken auf pittoreske Uferlandschaft wählt, wo durch das dichte Laub momentweise die Sonne blitzt.
Im Süden von Don Det liegt auf der anderen Seite eines kleinen „Kanals“ die Insel Don Khone.
Verbunden werden die beiden Inseln durch eine gemauerte Brücke, die eher an die Loire als nach Laos passen würde. Nur dass der Fluss darunter kein romantisches französisches Flüsschen ist, sondern träge gelbbraune Wassermassen führt.
Die geschwungene Steinbrücke ist ein Überbleibsel des französischen Traums, mit dem Mekong eine Verkehrsader nach China gefunden zu haben. Zwischen 1866 und 1873 - in kriegerischen Zeiten also, während des deutsch-französischen Krieges noch - sandte die französische Kolonialmacht mehrere Expeditionen unter Ernest Douart de Lagree und Francis Garnier den Mekong flussaufwärts. Offiziell auf der Suche nach der Quelle, offensichtlich aber vor allem, um einen Zugang zum chinesischen Markt zu finden. Die großen Wasserfälle Somphamit und Khon-Phapheng bei Si Phan Don machten diese Hoffnung aber bald zunichte.
Doch so schnell wollten die Franzosen nicht aufgeben. Zur Überbrückung der Wasserfälle bauten sie ab 1893 eine zehn Kilometer lange Eisenbahnstrecke von der Südspitze Don Khones bis zur Verladerampe im Osten von Don Det. An diesen schon recht verzweifelten und ökonomisch eher absurden Versuch erinnert heute noch die Brücke zwischen Don Khone und Don Det und die Reste des alten Eisenbahndammes, auf dem man heute noch mit dem Rad die Inseln „erobert“.
Die Schienen sind längst abmontiert und anderweitig verwendet, nur der Schotter liegt vereinzelt noch hier und macht dann das Radeln zu einer holprigen Angelegenheit. Zu beiden Seiten des Damms breiten sich Reisfelder aus, ab und zu steht eine kleine, allmählich zerfallende Holzhütte auf Stelzen auf den Feldern.
Dann führt der Weg lange durch lange märchenhafte Baumtunnel
eines „verzauberten“ Waldes und endet schließlich am Mekong.
Hier im Süden von Don Khone steht die alte Verladestation, ein Monstrum aus Stahl und Beton.
Ein vergammelnder Kran, genug Beton für einen Normandiebunker und Verfall, wohin man schaut.
Die Dorfjugend hängt mit den Bootsleuten und einer Flasche Lao Lao am Ufer herum, in Erwartung zahlender Kunden, die für eine Stunde Delphinbeschau 5 oder bei etwas Raffinesse mehr USD locker machen. Sicherlich ein gutes Geschäft und ein lohnender Ausflug. Hier sollen in den etwas tieferen Becken des Mekong noch einige Exemplare des Irrawady-Delphins leben, deren Rücken und Flossen wir im Frühjahr auch schon bei Kampie in Kambodscha für jeweils Zehntelsekunden wie huschende Schatten gesichtet hatten.
Also setze ich mich auf den Betonsockel und lasse meine Beine zehn Meter über dem Mekong baumeln. Das flache Ufer auf der anderen Seite verschwimmt über den Wassermassen. Es ist still. In der Ferne nur ein gedämpftes Brummen eines Außenborders. Bevor die Sonne in den Mekong taucht, möchte ich wieder zurück sein. Im warmen Licht des beginnenden Abends radle ich auf auf dem eingewachsenen Damm zurück nach Don Det.
Noch stehen die Wasserbüffel bis zum Kopf im Wasser.
Einen kleinen Abstecher zum Somphamit Wasserfall reicht es also noch vor dem Sonnenuntergang auf der Terrasse des „Little Eden“ im Norden von Don Det.
Si Phan Don - 3.12.2013
Heute ist wieder Hängematte angesagt. Und Nichtstun. Auch kein Tagebuch. Nur wenn Lust dazu aufkommt. Musik hören, lesen und lauschen.
Paul Auster schrieb im „Winterjournal“ über die Art, wie er zum Schreiben kam:
„Um tun zu können, was du tust, musst du gehen. Gehen trägt dir die Worte zu, erlaubt dir den Rhythmus der Worte zu hören, während du sie im Kopf schreibst...Schreiben beginnt im Körper, es ist die Musik des Körpers, und auch wenn die Worte Bedeutung haben können, ist es die Musik der Worte, wo die Bedeutungen beginnen. Du sitzt an deinem Schreibtisch, um die Worte niederzuschreiben, aber im Kopf gehst du weiter, und was du hörst, ist der Rhythmus deines Herzens, das Schlagen deines Herzens. Mandelstam:“ Ich frage mich, wie viele Sandalen Dante während seiner Arbeit an der Commedia durchgelaufen hat.“ Schreiben als mindere Form von Tanz.“
Ich habe nie tanzen gelernt und gemocht. Und gehen bereitet mir nur wenig Freude, vor allem jetzt im Alter mit künstlichem Knie. So genügt mir das absichtslose Liegen und die Gedanken wehen ohne Ordnung durch den Kopf, ohne die Musik der Worte. Vielleicht sollte ich das Gehen lernen?
Eigenartig, zu Lutz und Pheng kommen fast nur Menschen mit offenem Herzen und Verstand, die mit Bedacht kommunizieren in vielen Sprachen und ohne Maske.
Woran dies liegen könnte, bleibt mir ein Rätsel. Sicher trägt die warme und herzliche Art von Lutz, sein Lachen, seine Unkompliziertheit und seine Leichtigkeit dazu bei. Sicher auch der Blick auf den Mekong an speziell dieser Stelle. Der träge fließende Fluss, der die vielen kleinen Oleanderinseln umschmeichelt, so ganz ohne Eile wie die Zeit, die sich mehr Zeit lässt hier, hat man den Eindruck. Vielleicht auch die Ruhe der Wasserbüffel und die Nähe all der Tiere hier und ihre Friedfertigkeit (mit Ausnahme des falschen Propheten eines Hahns). Die frische Brise, die unentwegt weht und die trüben Gedanken aus den Hirnen bläst. Ganz sicher das gute Essen von der immer freundlichen Pheng und die Liebe, mit der es zubereitet wird.
Und die perfekte Einfachheit aller Dinge, wenn man sie von der Hängematte aus betrachtet.
Fast jeder Gast bleibt länger als geplant und wenn er geht, dann nimmt er lange mit allen Sinnen Abschied und beteuert irgendwann zurückzukommen.
Man findet schließlich nicht alle Tage einen Ort, an dem die Ruhe merklich in die Seele schleicht und an dem man so leicht Nichtstun darf.
Einige Tage schon konnte ich die nackten Kinder beim Baden im Mekong beobachten.
Und weil ich das Gefühl habe, dass die Hitze noch etwas zugenommen hat, bekomme ich Lust auf die Abkühlung. Die braunen Fluten aber schrecken ab. Es dauert, bis ich mich überwinde. Durch den höheren Wasserstand ist direkt vor den Bungalows eine Stelle, an der man problemlos ins Wasser steigen kann.
Vorsichtig taste ich mich die Böschung hinab, tauche einen Zeh ins Wasser. Der Mekong ist überraschend warm. Irgendetwas streift meinen Knöchel, der Untergrund ist schlammig weich.
Für die Laoten und besonders die Kinder ist ein Bad im Mekong natürlich eine ganz alltägliche Angelegenheit. Wer am Fluss wohnt erledigt seine Körperwäsche hier und steigt wenigstens am Abend in die Fluten. Also schwimme auch ich nach etwas Überwindung. Die Strömung zieht mich etwas vom Ufer weg.
Ich muss schon alle Kraft aufwenden, um nicht in die Flussmitte abzutreiben. Kurz kommt Panik auf, denn mir fällt ein, dass vor wenigen Tagen ein Tourist im Mekong ertrunken ist, weil ihn die Strömung mitgerissen hat und er die Kraft nicht aufbrachte ans Ufer zu kommen. Seine Leiche soll südlich von Don Khone angeschwemmt worden sein.
Aber sofort habe ich wieder Boden unter den Füßen. Ich stehe schließlich mitten im Fluss auf einer Sandbank - bis zu den Knöcheln im Wasser.
Die Panik war grundlos, der Fluss war gerade mal 2 m tief und die Strömung eigentlich nicht der Rede wert.
Am Fluss in der Sonne sitzen und die leicht gekräuselten Wellen sehen ist eine Beschäftigung der letzten Tage.
Tust du es lang genug, treibt der Fluss auch deine Gedanken davon und du sitzt bewegungslos, lange im Gras und erinnerst dich später nicht, was du dort so lange getan hast.
Du zählst ja nicht zu denen, die Dinge sehen, die nicht da sind und so sehr dich so manches im Leben verwirrt, was du siehst überall, neigst du nicht zu Halluzinationen oder absurden Verdrehungen der Wirklichkeit.
Und doch, in dieser Ecke der Welt genügt die Wirklichkeit nicht, dir begegnet ständig Magie und Zauber, Glauben an zweifelhafte Wesen, Dämonen, Anbetungen vergoldeter Gipsfiguren oder tägliche Opferungen vor bizarren Geisterhäuschen. Du fragst dich, warum dieser magische Realismus noch immer die Menschen beherrscht, der sie doch täglich so vieler Energie beraubt. Für sie sind die Dinge wie sie sind und sie wagen sie nicht in Frage zu stellen. Mit dieser Haltung ist Veränderung nur langsam denkbar und der Schatten des Außerirdischen legt sich auf ihre Gemüter.
Was treibt den Menschen weg von sich selbst in die beschützenden Arme der unsagbaren Allmacht - die ihm so fremd ist, die menschliche Unzulänglichkeit und die erbitterten Kämpfe um den rechten Weg nicht kennt?
Was treibt die Menschen, die Verantwortung für ihr Leben freiwillig abzugeben?Andererseits:
Beim Blick auf die Welt begreife ich so manches nicht.
Und was ich nicht begreife, ist ohne Vernunft. Und so finde ich auch seltsame Widersprüche und Unsinnigkeiten. Die Welt ist voller irrationaler Dinge. Sie ist, genau betrachtet, ein riesiges Irrationales. Man müsste nur ein einziges Mal sagen können: „Das ist klar“, und alles wäre gerettet.
Aus dieser Verwirrung hilft elegant nur ein Liedchen von Wecker heraus:
„Der Sinn vom „Sinn“
Er ist amorph, er ist nicht leicht zu fassen, er ziert sich und verkleidet sich auch gern,
am besten wär es sicher ihn zu lassen, vielleicht im Faust versteckt als „Pudels Kern“.
In Philosophenseminaren, auf Kongressen, fest versiegelt im gehobenen Gedicht,
jedoch, weil jeder so auf ihn versessen, wird er gefunden, ob’s ihn gibt oder auch nicht.
Und jetzt suchen wir mal alle nach dem Sinn, denn der Sinn liegt immer irgendwo drin,
ja wo ist er denn, wo bleibt er er denn, wo hat er sich versteckt?
Hat von ihnen vielleicht jemand den Sinn entdeckt?
Und jetzt suchen wir mal alle nach dem Sinn, ja, wo ist denn der Sinn schon wieder hin?Schnell, wir müssen uns beeilen, hinter jeder dieser Zeilen kann er kauern, mauern, lauern - der Sinn.“
Eine Wirkung wie ein intellektuelles Abführmittel!
Die Abende bei „Mama Leuah“ sind immer Festtage mit internationaler Besetzung. Es wird viel gelacht an den voll besetzten Tischen und natürlich erzählt von den kleinen Begebenheiten der großen Reisen. Ab und an schleichen sich auch tiefergehende Gespräche in die Runde, es wird über politische, kulturelle Phänomene diskutiert oder über Weltsichten philosphiert. Ein Austausch diverser Gedanken. Und man kommt sich fast immer näher dabei. Denn man ist sich wohlgesonnen und das viele Glück, das jeder in sich fühlt, strahlt auf die Abende ab, die lange sind, bei gutem Essen beginnen und immer beim Lao Lao enden.
Auf Don Det wachsen auffällig viele Arecapalmen.
Und damit ist klar, viele der Alten gönnen sich von Zeit zu Zeit einen Bethelpriem.
Lutz bestätigt und erzählt von den schwarzen Zähnen der Großmutter und auch der älteren Familienmitglieder, die wohl mehrmals in der Woche und an Festtagen eine Bethelnuss kauen.
Morgen geht es weiter.
Um 8 Uhr mit dem Boot nach Nakasang, dort in den Bus und später Grenzübertritt nach Kambodscha. Am Mekong entlang die Fahrt bis Kompong Cham, wo ich Station machen werde.
Kompong Cham - 5.12.2013
Die Grenze nach Kambodscha, diesem armen Land, Nachbar des armen Laos.
Das neue Zollgebäude ähnelt aber mehr dem Königpalast von Phnom Penh und täuscht einen Standard des Landes vor, den das Volk so nicht kennt.
Der Schein regiert überall! Und nicht nur der Geldschein.
Die Grenzformalitäten übernimmt für den ganzen Bus ein Busbegleiter und ich genehmige mir für 6000 KIP ein Angkor Bier.
Während ich also mit dem Bier in der Hand auf die Grenzabfertigung warte, ertönt neben mir der „Triumphmarsch der Aida“. Einer der Zöllner nimmt sein polyphones Mobiltelefon der jüngsten Generation aus seiner Tasche.
Seit den von der UNO überwachten Wahlen von 1993 wurden Milliarden von Dollars an ausländischer Hilfe nach Kambodscha geschwemmt.
Genutzt wurde das Geld jedoch weniger für den Aufbau des Landes, sondern erst einmal, um Armee und Polizei zufrieden zu stellen. Es ging der UNO vor allem darum, eine stabile Staatsmacht zu etablieren und dieser durch Wahlen einen demokratischen „Anstrich“ zu geben. Darauf sollte dann auch der wirtschaftliche Aufschwung folgen.
So zumindest die Theorie.
Die heutige Praxis sind polyphone Klingeltöne, die ausländische Telefonkonzerne alimentieren, modernste staatliche Einrichtungen, Polizei-Equipment vom Feinsten und wohlgenährte Politikerfamilien. Hun Sen, ehemaliger Khmer Rouge und seit über drei Jahrzehnten Ministerpräsident (er wurde erst im Sommer wiedergewählt - zum Leidwesen auch von Sokra und der einen Hälfte der Bevölkerung dieses gespaltenen Landes), ist einer der reichsten Männer der Welt, denn er verdient seine Milliarden mit eben solchen Mobiltelefonen.
Die Armut springt einem schon wenige 100 Meter nach der Grenze ins Auge. Windschiefe und demnächst mit Getöse zusammenkrachende Hütten, in denen tatsächlich Betrieb ist. Müllübersäte Abwasserkanäle entlang der Straße und kleine Schlammlöcher, in denen Kinder ihre knappe Morgentoilette erledigen.
Und die Straße!
Die 150 km bis Kratie legen wir in einem wahren Husarenritt über Stock und Stein, Löcher und Wannen, Pfützen und Miniseen, selten auf Asphalt in etwas mehr als 4 Stunden zurück. Danach geht es etwas zügiger.
Bereits seit einigen Kilometern sind mir die Moscheen und Minaretts aufgefallen. Männer mit gepflegten Bärten und weißen Käppis und farbigen Kaftanen spazieren allein und in Gruppen am Straßenrand. Die Frauen tragen lose gebundene, meist schwarze Kopftücher. Entlang des Mekong zwischen Kratie und Kompong Cham wohnen die Cham. Das sind die Nachfahren des im 1. Jahrtausend unserer Zeitrechnung ganz Südvietnam mit dem Mekongdelta und Teile Kambodschas beherrschenden Großreiches Champa, die wie die Aleviten einer schiitischen Seitenlinie des Islam angehören. Wir haben in Vietnam Spuren der Chamkultur immer wieder sehen können und im Bayon von Angkor Thom sind die Bilder der Kriege zwischen den Khmer und den Cham in Stein gemeißelt.
Um 8 Uhr auf Don Det gestartet erreiche ich Kompong Cham um 7 Uhr am Abend, suche nach dem „Mekong Hotel“, das nicht weit vom Busbahnhof entfernt sein soll.
Als ich nach dem Weg fragen möchte, tritt ein ehrwürdiger alter Mann auf mich zu, der aussieht wie der lokale Chef der Al-Chaida. Er begrüßt mich mit einem „Salem Aleikum“, worauf ich das „Wa aleikum Salaam“ („Friede sei auch mit dir“) zusammenkratze. Dann gehen mir allerdings die Worte aus. Und wir lächeln uns an.
Anschließend winkt er einen jungen Motofahrer herbei, mit dem ich samt ganzem Gepäck nach kurzem Ritt im bombastischen Hotel ankomme. Das Zimmer ist super, mit Klima, Kühlschrank, Tv und Balkon mit Blick auf den Mekong - 12 Euro für zwei.
Ich bin wieder im Land der Schlafwandlerinnen, denn ein Großteil der Frauen trägt hier auf der Straße einen dünnen Anzug, der einem Schlafanzug sehr nahe kommt oder möglicherweise auch einer ist.
Über Kompong Cham schwebt eine Atmosphäre verblichener Noblesse. Ein Bummel durch die ruhigen abendlichen Straßen südlich des Marktes führt an einigen - allerdings schlecht erhaltenen oder kriminell renovierter - Kolonialgebäude vorbei. Die Stadt liegt ruhig am Westufer des Mekong, bietet kaum Betriebsamkeit und verbreitet erstaunlich viel Charme und Gelassenheit. Auch die wenigen Restaurants und Bars mit viel Lichtergeflunkel wirken richtig einladend. Erst in den Seitenstraßen merkt man ihr an, dass sich in den letzten 40 Jahren kaum jemand für sie interessiert hat. Kaum ein Haus ansonsten, das keine großen schwarzen Schimmelflecken an den verrotteten Außenmauern hat. Und selten ein Hauch frischer Farbe, schon gar nicht großflächig.
Und kurz nach 20 Uhr ist der Ort wie ausgestorben. Ich suche mir schnell ein Restaurant aus Angst, dass demnächst die Lichter ausgehn.
Die letzten Nachrichten aus Bangkok klingen wieder versöhnlicher und lassen hoffen, dass die Krise sich entspannen kann und die Barrikaden weichen. Am Montag noch haben die Regierungsgegner mit ungeheurer Wucht versucht die Regierungsgebäude zu stürmen und die Polizei hat den Ansturm mit Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen abzuwehren versucht.
Tage zuvor waren bei Zusammenstößen zwischen den „Gelben“ und den „Roten“, die sich im Nationalstadion versammelt haben, schon einige Tote zu beklagen gewesen.
Gestern nun hat die Polizei ihre Taktik geändert. Sie räumte die Barrikaden weg, öffnete die Tore und ließ die Menge in den Hof, die einigermaßen verdutzt keine Gewalt anwendete und nur mit ihren Trillerpfeifen protestierten.
Es soll von der Regierung Shinawatra ein „Runder Tisch“ mit Persönlichkeiten aller Lager gebildet werden, einen Weg aus der Krise zu suchen.
Denn inzwischen schwelt der Konflikt schon seit Anfang Oktober und schädigt eindeutig das Ansehen Thailands und den Tourismus. Freunde von uns hatten große Mühe bei ihrer Ankunft in Bangkok, sich in der City fortzubewegen, da es Straßensperren gab und Busse und Taxis nicht mehr fuhren.
Hintergrund der Proteste ist ein Amnestiegesetz, das die Regierung auf den Weg brachte. Mit ihm sollten die seit 2011 inhaftierten Führer der UDD (die“Roten“) frei gelassen werden und möglicherweise sollte der im Exil lebende ehemalige Ministerpräsident Thaksin (der Vater der jetzigen Ministerpräsidentin) rehabilitiert werden. Inzwischen fordert die Opposition und die Straße den Rücktritt der Regierung, diese aber sitzt offensichtlich fest im Sattel und die Polizei und das Militär stärkt ihr den Rücken.
Heute, an Könix Blumenkohls Geburtstag (er wird 86 Jahre alt und regiert schon seit 1946, als er den Thron bestieg), hat sich die Lage etwas entspannt und aus Respekt vor dem“Halbgott“ haben die Protestierenden ihren Protest ausgesetzt, dafür den besetzten Platz am Demokratiedenkmal in Bangkok aufgeräumt und geputzt. Was für ein Symbol!
Ganz Thailand erwartet vom schwerkranken Monarchen, der sich im königlichen Palast von Hua Hin aufhält, dem königlichen Badeort der Ramadynastie südlich von Bangkok, eine Rede an das Volk. Aber man sollte sich nicht täuschen. Der König, der in seiner über 60jährigen Regentschaft mehr als 20 Putsche „geschehen“ ließ (so auch den letzten im Jahr 2006, als der gewählte Ministerpräsident Thaksin Shinawatra vom Militär weggeputscht wurde - sicher nicht gegen den Willen des „Palastes“), wird die Demonstranten höchstens zur Zurückhaltung auffordern, der Regierung der Tochter von Thaksin jedoch nicht den Rücken stärken. So wird Thailand weiterhin am Rande eines Bürgerkrieges taumeln und für den Fall, dass der König stirbt, befürchte ich das Schlimmste. Denn eine politische Kultur scheint es hier noch nicht zu geben und die Formen der Auseinandersetzung sind archaisch brutal.
Sollte der Konflikt in 2 Wochen noch schwelen, so werde ich von außerhalb direkt zum Flughafen im Osten der Stadt fahren, ohne die Innenstadt zu tangieren.
Nach Geldwechsel und Simkartenkauf am quirligen und von Schlafanzugfrauen übervölkerten Markt, hab ich mich auf ein lädiertes Mountainbike geschwungen, mich auf die Fähre am Mekong zwischen all die Lastenträger und Marktfrauen und Mofafahrer gezwängt, um auf eine Cham-Insel mitten im Mekong zu gelangen. Ein muslimisches Durcheinander auf den Wegen und vor den vergammelnden Holzhäusern empfängt mich. Die Menschen in den Kaftanen und den verzierten Käppis, den schulterlangen bunten Kopftüchern wie in Malaysia begrüßen mich aber mit freundlichem Lächeln und keinerlei Mißtrauen strömt mir entgegen. Es steht hier fast vor jedem Haus ein alter, weitausladender Mangobaum mit kleinen, aber auch schon mit großen, noch grünen Früchten. In seinem Schatten stehen meist die wackligen großen Bambusliegen, so groß, dass die ganze Familie darauf ab und zu ein Schläfchen halten kann. Es gibt eine Menge Handwerker im Dorf, die direkt an der Gasse, dem Weg ihre Töpfe, Seidentücher, Stoffe, Körbe, Holzgegenstände herstellen. Aber so richtig gefallen konnte mir nichts.
Zur Mittagszeit habe ich mir ein Fisch-Amok im Bananenblatt schmecken lassen.
Am Nachmittag auf dem Rückweg treibt mich die Neugier in das Wat Pra Thom Nah Day Doh. Und so wenig poetisch der Name, so ist auch das Innenleben des Klosters hinter den hohen Mauern nur schaurig schön. Nach dem ersten Eingang tummeln sich eine Menge Totenstupas um eine Art Krematorium mit hohem Schornstein. Hinter dem zweiten Tor aus verziertem Beton öffnet sich eine Gipswelt verschiedenster Figuren, aus der erst einmal ein riesiger stehender und goldglänzender Buddha herausragt. Aus dem nahen Sim wehte der abendliche Singsang der Mönche herüber, vermochte es aber nicht, die hässliche Überladung des vielen Gips und Goldes in Form von diversen Buddhastatuen schöner erscheinen zu lassen. Ein buddhistisches Disneyland mit schrecklich kindlicher Prägung!
Wer daran Gefallen findet, kann in meinen Augen kein Buddhist sein. Der Erleuchtete selbst wird wohl bei so viel unterwerfender Götzenverehrung im Grabe seit Jahrhunderten rotieren.
Die Kinder sind hier noch bemerkenswerter als in Laos. Es ruft dir jedes kleinste Kind, wenn es gerade sprechen kann, das ausländische „Hello“ entgegen, sobald es dich sichtet und winkt mit allen Händen, bis du den Gruß erwiderst. Die sind so klein, dass du jedesmal überrascht bist, sie schon sprechen zu hören. Aber auch die Babys auf dem Arm der Mutter winken ohne Worte enthusiastisch. Man ist perplex über so viel Aufmerksamkeit.
In aller Frühe werde ich mich morgen in die Stadt Siem Reap nahe der Tempel von Angkor aufmachen, wo Sokra mich mit seinem Lucky Tuktuk abholen wird. Ich freue mich und bin gespannt.
Siem Reap - 08.12.2013
Das war ein Ritt durch das wahre Kambodscha.
Es begann schon am Abfahrtspunkt des Busses. Die untere Ladefläche war bereits beladen, was bedeutete, dass alle Mitfahrer ihr Gepäck in den Bus stellen sollten. Dabei war der Mittelgang schon mit Säcken, Kisten und Kartons vollgestapelt. Jetzt stiegen die Leute über die Ladung, brachten ihrerseits noch jede Menge Säcke und Taschen mit, so dass der Bus bei der Abfahrt fast in die Kniee ging. Noch nie einen solch vollen Bus gesehen. Bei den Halts turnten die Leute ins Freie.
Ich konnte mich vom Frühjahr her nur an relativ gute Straßenverhältnisse erinnern. Aber die heute hatten was.
Die 180 km bis Kompong Thom waren abenteuerlich. Obwohl die meist befahrene Strecke vom Nordosten in die Hauptstadt ist die Straße in einem erbarmungswürdigen Zustand. Riesige Schlaglöcher, die alle umfahren, Schotterpiste mit großen spitzen Steinen und ein Verkehr, der dieser Huppelpiste nicht angemessen ist. Zudem ist die Straße mit allen denbaren Fahrzeugen zugestopft. Altertümliche, knatternde Lastwagen ohne Karosserie, hochaufgetürmt mit allen Arten von Bastkörben, andere mit Säcken, Ochsenkarren und Pferdegespanne, die die letzten Reste der Reisernte einbringen, schwarzen Ruß ausstoßende Ungetüme, mit weißen Reissäcken hoch beladen, die beim Umfahren der Löcher gefährlich in die Schräglage geraten, dazwischen irren Busse und Minibusse umher, versuchen beim Hoppeln Vorteile zu erhaschen. An den Rändern der Straße in beide Richtungen eine Unmenge Fußgänger unterwegs, ebenfalls vollbepackt mit irgendwelchen Lasten, zur Mittagszeit Heere von weißblusigen Schülern auf Fahrrädern in Viererreihen manchmal. Allesamt werden sie von den Bussen und LKWs in den Graben gehupt. Ganz besonderen Spaß macht die provokante Langsamkeit von Hunden, Ziegen, Kühen, Hühner und Enten, die erst im allerletzten Moment ein Einsehen haben und den Weg eiligst räumen.
Die letzten 70 km bis Siem Reap dann eine relativ intakte Straße mit roten Sandstreifen an den Rändern, auf der der Busmotor gleichmäßig schnurrte, nur die Hupe hatte jede Menge Arbeit. Nach einer Nudelsuppe erreichten wir unseren Busbahnhof schließlich nach 7 Stunden statt der angekündigten 4-5.
Kurze Zeit später saß ich bei einem Angkor Bier im Garten der „Siem Reap Amigo Villa“, ein nettes und sauberes Gh, das Sokra für mich gebucht hatte. Telefonisch hatten wir vereinbart, dass er mich am Abend abholen und zum zukünftigen Zimmer bringen würde.
In wenigen Tagen wird Sokra nämlich heiraten. Und dieses bevorstehende Ereignis hat diesen so leichten, humor- und liebevollen Menschen mit viel Ironie und Witz zu einem verantwortungsbewussten Familienmenschen mutieren lassen. Offensichtlich. Man kann die Last tatsächlich spüren, die ihn niederzudrücken scheint.
Im zukünftigen Zimmer, in dem sowohl Somaly, seine Angetraute, als auch die jeweilige Schwester gemeinsam wohnen werden - wie das funktionieren soll, ist mir ein Rätsel -, herrscht ein Chaos, als hätte ein Orkan gewütet. Es bietet Platz für 2 größere Betten, einen Schrank und eine Glasvitrine, die später als Raumteiler benutzt werden sollen. Die Kleider hängen auf einem Ständer oder liegen auf dem Boden, wo dann noch ein kleines Plätzchen zum Essen bleibt. Außerdem wird das Zimmer vom kompletten Sortiment (Wasser- und sonstige Getränkeflaschen, Berge von Knabbereien und Süßem in Tüten) eines Straßenverkaufsstandes vor dem Haus zugedeckt, den Somaly und manchmal seine Schwester betreibt. Ein Räumchen mit Wasserwanne und Toilette, eine überdachte Miniküche im umbauten Freien komplettieren das zweifelhafte Glück. Keinerlei Geräte außer einem Reiskocher und einem Herd mit 2 Platten. Das Zimmer befindet sich in einem heruntergekommenen Flachbau des Busparkplatz eines riesigen Hotelkomplexes mit dem denkwürdigen Namen „Freedom“. Immerhin 100 Dollar mit Wasser und Energie gehen monatlich an den Hotelbesitzer. Ein Ort für große Träume ist das nicht.
Die Mädels, die immer wieder mit Kicheranfällen zu kämpfen haben, was Sokra sichtlich peinlich ist, haben gegrillten Fisch, Gemüse, Soße und jede Menge Reis serviert.
Um den riesigen Menschenmassen zu entgehen, haben wir uns auf der großen Tempeltour rund um die Hauptattraktionen von Angkor vergnügt.
Man fährt dabei häufig durch Wald, an Reisfeldern vorbei und kleinen Dörfern, wo der Hund mitten auf der Straße schläft,
und besucht immer mal wieder einen Tempel. Oft sitzen wir im Schatten und reden viel. Dabei entdecke ich seine große Gläubigkeit und sein Traditionsbewusstsein, das so gar nicht zu seinen politischen Anschauungen passen will.
Interessant auch der Ablauf der zweitägigen Hochzeit im Dorf der Schwiegereltern. Er beschreibt ihn sehr genau und ich habe danach eine Ahnung, was mir entgangen ist. Bin aber dennoch irgendwie froh, dem strengen Ritual entgangen zu sein.
Am Abend gehen wir gemeinsam ins Kantha-Bopha-Kinderhospital von Siem Reap, wollen das Cellokonzert des Krankenhausgründers Dr. Beat Kichner und seinem Programm „Beatcello“ anhören. Erst nachdem der Konzertsaal gefüllt ist, wird dem Publikum mitgeteilt, das die Hauptperson gerade in New York weilt und man statt Musik nun einen Film über ihn sehen würde. Unter dem Motto „Ein großes Herz für kleine Patienten“ wird sein Lebenswerk sehr symphatisch vorgestellt. Ein Mann, der sich einen Traum mit viel Tatkraft und Durchhaltevermögen verwirklicht hat.
Der Tourismusboom schafft Inseln des Wohlstandes mit internationalem Standard und Preisniveau. Überall in Siem Reap zu bestaunen.
Wo diese Inseln ausfransen, besteht für ein paar Kilometer Luxus neben tiefster Armut. Eine Nacht im „Grand Hotel d’ Angkor“ kostet zwischen 200 und 400 USD, was ziemlich genau einem durchschnittlichen Monatslohn der Mittelschicht entspricht. Ein Reisbauer hat am Tag 1-2 USD. Nur so als Beispiel.
Neben dem Mekong ist der gewaltige Tonle Sap der wichtigste Wasserweg Kambodschas und die Lebensader des Landes. Jedes Jahr zur Hochwasserzeit Mitte Juni/Juli/August ändert der etwa 200 Kilometer lange Fluss aufgrund der vom Mekong nachdrängenden Wassermassen seine Fließrichtung und bringt dringend benötigtes Wasser in die nach der Trockenzeit ausgedörrte Ebene zwischen Phnom Penh und Siem Reap. Die Fläche des von ihm gespeisten gleichnamigen Binnensees wächst von 3000 auf 10 000 Quadratkilometer, der Wasserspiegel steigt um bis zu sieben Meter. Für die Menschen, die am See in schwimmenden Dörfern leben, bringt die alljährliche Flut nicht nur Wasser zur Bewässerung der Reisfelder, sondern auch einen enormen Fischreichtum. Eine der wichtigsten Grundlagen der Khmer-Kultur, da dadurch schon damals drei Reisernten möglich waren.
Von der einstigen Größe des Khmer-Reiches ist bei unserem Besuch in den Dörfern am Tonle Sap nichts mehr zu sehen. Man verlässt das edle Angkor sozusagen durch die Hintertür.
Bis zum Dorf Chong Khneas bringt uns das Tuktuk durch eine leicht bewaldete Flachlandschaft mit vielen kleinen Dörfer. Dort mieten wir ein altes Boot, das von einem Jungen(?) gefahren wird und uns auf einem schmutzigen Kanal zu einem Schwimmenden Dorf am Rande des Sees bringt.
Man hat das Gefühl, durch einen Slum zu fahren. Notdürftig und aus vielen verrotteten Materialien zusammengeflickten Stelzenhütten aus Holz, Stroh und Blech. Dazwischen nackte Kinder.
Die Brühe, auf der uns das Boot dorthin bringt, stinkt erbärmlich und man ist nicht sicher, ob es sich dabei wirklich um Wasser handelt. Fischer stehen bis zum Hals im Dreck und ziehen selbstgeflochtene Netze durch die Kloake.
Das ist das andere Siem Reap - kein Gold, kein Glitzer, kein feines Benehmen.
Hier wird ums Überleben gekämpft und dennoch: Beim Vorbeifahren wird gelacht und gewunken. Die Menschen sind augenscheinlich mit ihrem Leben zufrieden.
Etwas geschockt war ich dann doch, als Sokra die Armut hier mit schlechtem Karma erklärte, ansonsten aber die bestehende Korruption im Lande beklagte.
Die 3 Stunden auf dem Wasser und die lange Fahrt im Tuktuk hat uns beide müde gemacht und als bald vermählter Kambodschaner soll man 10 Tage vor der Hochzeit ruhen und relaxen. Es war also höchste Zeit für ihn und wir brachen das Programm nach einem kleinen Mittagessen ab.
Durch diese Regel fiel mir noch eine andere Ehre zu, denn Sokra eröffnete mir, ich sei der letzte Gast, den er vor der großen Veränderung seines Lebens durch Siem Reap schaukelte.
Koh Chang/Kai Bae Beach - 12.12.2013
Das ist „asia limited“.
Wieder mal früh startet der abgerissene und lebensmüde „Very Important Person Bus“ mit etwa 50 abgerissenen, müden und manchmal auch unrasierten Backpackern und maximal 2 Alten macht er sich auf die legendäre Strecke nach Bangkok zum Grenzort Poipet. Schon nach wenigen Kilometern lassen wir die Stadt hinter uns und die Landschaft hat schlagartig dörflichen Charakter mit typisch kambodschanischer Szenerie:
Reisfelder bis an den Horizont, dazwischen locker verteilt Zuckerpalmen, grasende Wasserbüffel und irgendwo das leuchtende Dach eines buddhistischen Tempels, einer Pagode.
Viel tosendes Leben überall auch hier und schaukelnde Hängematten.
Ist für Laos der alte Titel vom „Land der Millionen Elefanten“ längst abgewandelt zum „Land der Millionen Hängematten“, so lautet das wahre Motto von Kambodscha „at banjaha!“ Das heißt übersetzt: „Kein Problem“.
Was natürlich nicht heißen soll, dass es in Kambodscha keine Probleme gäbe. Die gibt es hier andauernd: Stromausfälle, Kurzschlüsse, überschwemmte Straßen, Busse, deren Motoren sich in Rauch auflösen und Taxis, die von ihren eigenen Reifen überholt werden.
„At banjaha“ heißt im Grunde: „Es gibt zwar ein Problem, aber eigentlich ist es gar keines, denn wir werden es zusammen lösen - unter Beteiligung von weit mehr Menschen, als eigentlich dafür notwendig wären, und mit viel Geschwätz und Gelächter und mit einem Plan, der so aberwitzig ist, dass er gar nicht schiefgehen kann.“
Tatsächlich - passiert irgendwo etwas, bleibt etwa ein Bus auf freier Strecke stehen, dann kannst du sicher sein, in Blitzeseile bevölkert sich die Stelle, wo kurz vorher noch stille Idylle geherrscht hat, mit einer Schar brabbelnder Männer und Frauen, die unentwegt laut durcheinanderschreien, diskutieren, gute Ratschläge geben und gar Hand anlegen, wenn es sein muss.
Hier in Südostasien, aber besonders in Kambodscha, ist das Leben so, als hätte jemand dem Fluss der Zeit Kontrastmittel untergemischt.
Alle Eindrücke des Tages werden verstärkt. Es gibt hier sehr schöne Tage, aber auch richtig schlechte Tage, und wenig dazwischen.
An den guten Tagen leuchtet der Himmel blau und die Morgenluft ist frisch und noch kühl. Die Sonne taucht das Land in ein goldgelbes Licht. Alles was ich sehe, erscheint mir neu und nie gesehen. Das zahnlose Lächeln einer alten Frau, deren Haut wie ausgegerbte Erde ist. Der Bougainvilleabusch, der auf dem Balkon einer verfallenen Kolonialvilla wächst. Der Duft des Frangipani- oder die Form eines Mangobaumes. Jeden Augenblick möchte ich gern mit einer Kamera festhalten. Der Verkehr scheint sich auf wundersame Weise selbst zu regeln, als stünden die Teilnehmer in geheimer Verbindung zueinander.
Und dann sind da die schlechten Momente.
Die Menschen leiden unter der brennenden Sonne, das grelle Licht ist schonungslos und entblößt, wie unansehnlich und dreckig die Straßen sind. Der Gestank der Kanalisation und der Abgase nimmt dir den Atem. Im Verkehr versucht jeder rücksichtslos so schnell vorwärtszukommen wie möglich und jeder stößt in die kleinste Lücke.
An solchen Tagen fühle ich mich beobachtet, ich spüre die Blicke, sehe wie sie auf mich zu rennen, hoffen auf einen schnellen Dollar, sie sind berechnend.
Ich muss auf der Hut sein.
Aber auch die Statussymbole, die man in Deutschland braucht (Visitenkarten, Titel, Markenklamotten, Posten, teure Anzüge oder Autos, tausend Facebook-Freundschaften...) um jemand zu sein sind durch das starke Kontrastmittel in Kambodscha absolut bedeutungslos. Es interessiert einfach niemanden (Allerdings sind Anfänge bei der Elite und Mittelschicht durch das Fernsehen gemacht). Wenn sich Deutsche kennenlernen, kommt sehr bald die Frage:“Was machst du?“ Prüfe dich in solcher Situation mal, wie du insgeheim auf die Antwort reagierst, wie wichtig der Status des neuen Bekannten ist, wie sich dein Blick auf ihn, je nach Status, verändert. Darauf sind wir abgerichtet.
In Kambodscha ist es noch nebensächlich, was man macht, wie man gekleidet ist (außer im Tempel), welcher Tätigkeit man nachgeht. Wenig Maske, wenig Show und Maskerade. Hier schaut man den Menschen in die nackte Seele.
Hier ist man noch von vielen moralischen, juristischen und sozialen Beschränkungen befreit, die einem in Deutschland auferlegt sind und die man erst im fremden Land wahrnimmt.
Poipet an der thai-kambodschanischen Grenze ist ein nach Fisch, gerösteten Muscheln und Abfall stinkender Ort, wo wir den altersschwachen „VIP“-Bus verlassen müssen und an dem wir unfreiwillig 3 Stunden warten. Riesige Schlangen vor den Schaltern für den Ausreisestempel aus Kambodscha, langer Marsch in brütender Hitze, Schweiß rinnt in Strömen, die Frisur ist längst keine mehr. Noch längere Schlangen und sehr gewissenhafte Zollbeamte auf thailändischer Seite mit viel Zeit. Man kann es kaum mitansehen. Sie müssen von einigen Errungenschaften der amerikanischen Zollabfertigung total überzeugt worden sein, denn neben dem üblichen Gechecke nimmt man hier zusätzlich noch Fingerabdrücke und Portaitphotos.
Eine langwierige Prozedur. Mehrere Westler machen schlapp, drehen durch, rasten aus, verlieren ihr Gesicht (Achtung Metapher!), sind kurz vor dem Amoklauf.
Dann wieder eine Stunde warten auf den japanischen Minivan. Im Flug durch Thailands Osten zur Fähre am Pier und rüber auf die Insel. Dort ist es längst dunkel und 20 Uhr 30, als wir das Songthaew zum „Lonely Beach“ besteigen.
Wie leicht können Namen Illusionen erzeugen.
Dieser einsame Strand entpuppt sich als phonstarke Partymeile, in der aus allen Rohren gedröhnt und gehämmert wird. Jede Bar, jedes Restaurant versucht die anderen an Lautstärke zu übertrumpfen. Selbst leere Buden dröhnen in die Weite.
Ein wahrer Sündenpfuhl dazu.
Mit einem japanischen Freak bin ich noch eine Stunde auf der Suche nach einem billigen Bungalow. Erfolglos. Also bleibt für diese Nacht nur eine Absteige mit überhöhtem Preis. Um 10 Uhr sitze ich vor einem Penang-Curry und „big“ Chang ( Koh Chang und Chang Bier! Fällt was auf? Beides bedeutet „Elefant“) und mir dröhnen die Ohren. Das tun sie durch die Nacht hindurch, denn erst um 4 Uhr früh werden die Bässe abgestellt, torkeln die Gröler ins Bett.
Am Morgen erfahre ich zum wiederholten Mal die wundersame Macht des Zufalls.
Auf der Suche nach einem stillen Bungalowresort - der Strand ist eher steinig, felsig, mit vielen Mangroven und lädt mich eigentlich nicht ein, aber am Ende der Bucht sehe ich einen kleinen Sandstrand mit Holzbungalows - stapfe ich in der ersten Morgenhitze samt Gepäck die Dorfstraße hinaus, passiere ein deutsches Ehepaar mit kleinen Kindern, merke einige hundert Meter weiter, dass die Straße in den Wald ansteigt und entscheide mich für die Umkehr. Beim deutschen Paar kommt mir die Idee, nach Stränden zu fragen und sie schwärmen von ihrem „Blue Lagoon“ zwei Strände weiter. Da sie gerade auf einen Songthaew nach dort warten, schließe ich mich ihnen an - und finde den idyllischen Strand, den ich erwartet hatte. Und einen freien Bungalow. Und die Welt ist wieder in Ordnung. Wäre ich weitergestapft, wer weiß, was ich gefunden hätte.
Die Insel Koh Chang gilt noch immer als Naturparadies, wenngleich es auf einem „guten“ Weg ist, Orten wie Pattaya, Phuket oder Ko Samui/Chaweng nachzueifern. Erst Ende der 90iger tauchte die Insel auf der touristischen Landkarte auf, bis dahin war sie militärisches Sperrgebiet durch die Nähe zum krisengeschüttelten Kambodscha sowie umherstreunenden Rebellengruppen, Schmugglern und Piraten.
Die 34 km lange und 12 km breite „Elefanteninsel“ ist gesegnet mit ausgedehnten Sandstränden, geheimnisvollen Mangroven-Lagunen, im Inselinneren mit gut erhaltenem Regenwald, Wasserfällen und Bergen.
Der Strand hier am Kai Bae Beach ist wunderschön und sehr natürlich geblieben, obwohl sich ein Bambusresort ans andere reiht. Ich wohne in einem Palmengarten etwa 20 Meter vom rauschenden Meer entfernt. Gleich neben dem Bungalow fließt eine Lagune mit erstaunlich sauberem Wasser ins Meer, palmengesäumt.
Am chilligen Strandrestaurant mit Bambusmöbeln stehen schattenspendende indische Mandelbäume (die Edith und ich gerne mit Cashewbäumen verwechseln), Kasuarinen, Tamarinden, Bananenstauden und kleine Fächerpalmen.
Von den Strandliegen aus unter den überhängenden Bäumen sieht man drei malerisch vorgelaßgerte Inseln. Hier lässt sich gut sein, zumal am Abend großes Seafood und Fischbarbeque direkt am Meer angeboten wird.
Eine wahre Idylle und ein sehr guter Ort zum Entspannen.
Lins Bungalows/Koh Chang - 13.12.2013
„Sicher ist, dass ich im Leben ein paar grundlegende Dinge nie begriffen habe, und ich weiß nicht einmal welche.“
Mit diesen Worten beginnt Sten Nadolny seinen neuen Roman „Weitlings Sommerfrische“. Ich muss sagen, mir geht es genau so.
Im Gegensatz zu den Buddhisten hier. Im Gespräch mit Sokra vor wenigen Tagen über Wiedergeburt und Karma musste ich staunen, welche Ansichten dieser für mich aufgeklärte und intelligente Mensch mit Vehemenz vertrat. Sicher, er ist offen für westliche Lebensart, unterwirft sich jedoch fraglos den sozialen und religiösen Normen seiner Gesellschaft.
Man hat dies und jenes zu tun, weil es alle tun. In einer letzten mail nach meiner Abreise aus Siem Reap schrieb er dazu:
„Tomorrow i am going to Somaly's parents and i must buy the lotus flower for the fortune-teller for a wish to have a daughter or twin daughters, we talked about this point, you will not believe. But i just do what people here believe and also we do it by what the fortune-teller suggested to prevent bad things.“
Hintergrund: Der Wahrsager des Dorfes seiner von den Eltern „Auserwählten“ sagte aufgrund der Geburtsdaten der Beiden Probleme bei der Geburt eines Sohnes voraus, aber nicht bei einem Mädchen. Sie beugen sich diesem Spruch widerspruchslos. Nicht auszudenken, was passieren wird, wenn ein kleines Söhnchen geboren wird. Armes Kind mit schlechtem Karma von Geburt an.
Ähnliches gilt für seine Hochzeit am Samstag/Sonntag.
Obwohl sie nicht wissen, wie sie die nächsten Monate über die Runden kommen werden, übernehmen sie die geforderten Rituale. Die natürlich Geld kosten. Und zwar nicht wenig.
Er hat es mir fein säuberlich vorgerechnet.
Sie haben 500 Einladungen verschickt und gehen davon aus, dass etwa 400-450 Gäste zusagen werden. Das achtgängige Menu und die Getränke für zusammen 15 USD sind durch die Geldgeschenke (normalerweise schenkt jeder Gast 15 USD) in der Regel ausgeglichen. Bleiben die Kosten für Dekoration, Hochzeitskleidung, die alle paar Stunden gewechselt werden muss, Fotograf, Musikband, Torte usw, die sich auf etwa 2000 - 3000 USD belaufen. Eine enorme Summe.
Sollten die Gäste etwas mehr schenken, was selten der Fall ist (denn die Geldgeschenke werden fein säuberlich notiert und falls man später auch zur Hochzeit geladen wird, gibt man etwas mehr als dieser gegeben hat), werden die Kosten noch ein wenig reduziert.
So bewegt man sich hier in einem festen Gefüge, ehrt Buddha und die Geister (das sind nicht wenige) von Zeit zu Zeit mit einem kleinen Opfer, versucht als Buddhist ein gutes Karma zu erhalten. Und dies in einem ökonomischen Milieu, in dem man tagtäglich sein Überleben erkämpfen muss. So mancher wird von seinem Leben hier fortgerissen und davongetragen. Wer sein Karma selbst zerstören will - bitte schön, hier wird ihn niemand aufhalten, geschweige denn, ihm helfen.
In solchen Momenten frage ich mich, ob der Zauber Asiens, den ich hier auch suche, nicht ein Trugbild ist.
Die Magie unserer ersten Asienreise ist verflogen. Man kennt sich inzwischen aus.
Ich erinnere mich aber noch gut an die Hoch- und Glücksgefühle:
Als ich mit dem Expressboot erstmals den Chao Phraya hinunterfuhr inmitten der vielen Fremden, als ich am Loy Krathong Fest die extravaganten Tänze der Apsaras sah, als ich durch den quirlgen Nachtmarkt spazierte, als ich den Holzkohlegeruch der vielen Kochfeuer in den Gassen in die Nase sog, als ich die Wärme des Asphalts spürte, der noch aufgeheizt von der Nachmittagssonne war, als ich die fremden Tiere und Pflanzen, die neuen Früchte und Kräuter, die Tempel mit ihren goldglänzenden Buddhas, die Bambusbrücken, die elenden Hütten und alles Fremde zum ersten Mal sah. Es war ein Wahn des Entdeckens von Neuem, ein Gefühl berauschender Freiheit. Hinzu kam die Sorglosigkeit des Reisens. All dies machte mich wohl süchtig. Und seither bin ich auf Entzug.
Dennoch: Die Unkompliziertheit der Buddhisten ist schon bemerkenswert. Ich erinnere mich noch an die Eindrücke meines ersten Tempelbesuches. Es war in Bangkok im Wat Indraviharn mit dem 27 m hohen stehenden Buddha. Ich war beeindruckt: Die vielen Flip-Flops vor der großen Halle, das milde Lächeln der goldenen Buddhastatue, die vielen Kinder, die Schwaden von Räucherstäbchen, der Singsang der Mönche. Vor allem schockierte mich die Selbstverständlichkeit, mit der ich unter all den Gläubigen mich bewegen durfte. Keiner stand auf und schrie: „Halt, Moment mal! Was macht denn die Weißnase hier? Ist die überhaupt Buddhist?“
Obwohl ich nie von Religiosität angesteckt wurde und Kirchen üblicherweise nur mit Widerwillen betrete, fühlte ich mich in der Pagode als zynischer, altkuger Besserwisser. Das war beim ersten Mal. Je mehr ich allerdings den Buddhismus - gemeint ist jener Volksbuddhismis, der mit animistischem Geister- und Ahnenglauben einhergeht - täglich erlebte, desto fremder wurde er mir wieder.
Wobei der Gedanke der Wiedergeburt ja etwas Hoffnungsvolles, Tröstendes in unserem „menschlichen Jammertal“ ist. Aber, dass Glück und Unglück, das dir widerfährt, die Konsequenz des Karmas, der Summe der eigenen Taten, sein soll, will mir nicht in den Kopf.
Hässliches Aussehen, Krankheit und Armut sind dabei selbstverschuldet und ich zweifle, ob Buddha diese Wirkung wollte. Natürlich hat er im Karma die Aufforderung und quasi den Zwang, ein guter Mensch zu sein (in anderen Religionen wird dieses Problem mit Bestrafung gelöst), elegant verkleidet.
Die Allmacht des Karmas begegnet dir überall. Wenn ein Thai den Bus verpasst hat, arrangiert er sich mit der Situation und sagt: “Zu spät in diesem Leben!“ (oder so ähnlich). Ist einer behindert von Geburt an, bleibt er ohne nennenswerte Hilfe durch die Gesellschaft oder ist einer von HIV infiziert, meiden ihn die bisherigen Freunde und er ist möglicherweise allein für immer.
Der Theravada Buddhismus, der nach eigener Definition die reine Lehre Buddhas verkündet, ist immer schon durchdrungen von dem Gedanken, dass die Erleuchtung durch den rechten Weg ohnehin nur einem kleinen Kreis von Wissenden vorbehalten sei, die ihr Leben mit Meditation und Selbsterkenntnis ausfüllten. Im Prinzip also nur denkbar für den buddhistischen Mönch. Die einfachen Leute sind auch hier gefangen in den Ritualen und Zeremonien, die sie respektieren, aber nicht verstehen. Sie geben sie weiter, tradieren sie und so entsteht ein Sammelsurium von Alltagsreligion, gespeist sowohl aus dem Buddhismus, dem Hinduismus, dem Animismus aller Couleur.
Das Karma also als Peitsche und Tor zum „Gutmenschen“!
Wobei: „Gutmensch“, das ist einer jener perfiden Begriffe in der westlichen Welt, die „Satan“ (oder wie er sonst noch so genannt wird), der Herrscher der Welt eben, in die Diskussion geworfen hat, um all jene zu diskreditieren, die nicht in steinerner Mitleidlosigkeit verharren wollen.
Ich glaube, unsere westliche Sicht auf den fernöstlichen Glauben ist oft von dem Wunsch nach einer Religion geprägt, die sich mit unserem Lebensstil und Denken verbinden lässt. Und diese Wunschvorstellung verstellt gern den Blick darauf, was diese Religion tatsächlich ist. Um es plump zu sagen, Religion eben und Opium für das Volk. Wie überall.
Wenn ich lange genug im Liegestuhl liege, dann kommen die Gedanken angeflogen, wirr und ungeordnet. Bilder aus vergangenen Tagen, Erkenntnisfetzen, die nichts bewirken und keine Weisheit transportieren. Sich nur gut anhören. Ich erinnere mich, meine Mutter hatte einen Spruch, den sie bei Gelegenheit gern zum besten gab.“Du solltest Ordnung in dein Leben bringen!“ Er galt für ihr überaus ordentliches Leben, das sie bis zum Wahn kultivierte. Alles hatte seinen Platz, alles war sauber und geordnet. Jede Abweichung störte. also sollten auch andere ihrem Beispiel folgen. Irgendwann, den genauen Anlass kenne ich nicht mehr, brachte sie wieder ihren Spruch an. Und weil ich längst in Opposition dazu stand, dachte ich mir:“Vielleicht sollte ich mehr Leben in meine Ordnung bringen. Ja, Leben in die Ordnung. Nicht umgekehrt.“
Wäre auch ein Rezept für die aktuellen Tage.
Die Idee einer Visite an irgendeiner Wegscheide meines früheren Lebens beschäftigt mich schon lange. Um all die schlechten, falschen und unterlassenen Entscheidungen zu korrigieren. Um zu erfahren, was geworden wäre nach der Korrektur. Ich stelle es mir so vor: Jede kleine Änderung des Kurses, den ein Schiff oder Auto nimmt, lässt dich an anderen Küsten, anderen Orten ankommen. Und die neuen Ereignisse machen einen anderen Menschen aus dir. Möglicherweise.
Aber ich frage mich auch, ob ich jetzt mit neunundsechzig wirklich weiß, was ich in jüngeren Jahren hätte anders machen sollen.
Was würde ich denn alles vermeiden, was gezielt lernen, welche schlechten Eigenschaften gar nicht erst aufkommen lassen?
Die Tage am Strand habe ich genosssen.
Die innere Ruhe strahlte förmlich aus mir heraus. Alles war im Lot. Ich spürte es.
Vielleicht kann man diesen Zustand auch Langeweile nennen. Ich genoss ihn dennoch. Denn das Gefühl, dass die Zeit eine lange Weile stehen bleibt und dir Gelegenheit gibt, über vieles nachzudenken, die Zeit verstreichen zu lassen ohne Reue, ist irgendwie magisch. Irgendwann schwebt man wie die Gedanken selbst schwerelos und mit der Leichtigkeit einer Feder durch die eigene Geschichte. Nicht, dass man sich besser versteht. Aber man freundet sich mit dem Menschen, der sich durch die eigene Kindheit und Jugend gequält hat, wieder etwas an, lächelt meist milde über ihn und seine abstrusen Ideen und Taten.
Ein Wunsch kommt auf: Man müsste nochmals 17 sein mit dem Wissen und den Erfahrungen von heute. Alte aber nette Idee.
Gestern um Mitternacht hat es geregnet. Völlig überraschend und ohne Vorwarnung. Plötzlich streicht ein kühler Windstoß über den Bungalow, rüttelt an den Moskitogittern. Blätter rascheln, auf der Terrasse kullert ein Blumentopf über die Stufen. Schließlich klopfen die ersten Tropfen auf das Dach. Pack, pack, packapadack!
Der Regen hier ist kein unmotiviertes Geniesel wie in Europa. Es legt sich schon eher ein schwerer schwarzer Samtvorhang über das Land und schüttet den Inhalt einer riesigen Wanne auf einmal aus. Dicke Tropfen, so groß wie Murmeln. Es war aber spät und mit dem Gedanken an den letzten Strandtag ohne Sonne schlief ich ein.
Am Morgen ist der Himmel tatsächlich nicht blau. Die Luft hat sich abgekühlt, hat aber angenehme Temperaturen. Die Sicht ist klar und das Meer liegt spiegelglatt und ruhig. Wenn man nur lange genug auf das flache Meer schaut, das ohne Wellen an den Strand läuft, kann man ab und zu springende Fische sich über und unter Wasser verfolgen sehen. Ein friedliches Bild. Der Strand tut als wäre nichts passiert.
Ich sitze allein am Bambustisch beim Frühstück. Die anderen Touristen haben es offensichtlich vorgezogen, im Bett zu bleiben. Der Himmel ist noch immer grau, es sind aber schon einige blaue Flecken zu sehen.
Dann taucht die Sonne hinter dem Wolkenmeer auf und sie brennt sie weg wie Schnee.
Eine Stunde später haben sich die Wolken verzogen und der blaue Himmel verlässt den Ring als strahlender Sieger.
Lange habe ich mir überlegt, ob ich nicht doch einen Motorroller mieten sollte, für eine Fahrt um die Insel. Aber der asiatische Straßenverkehr!
Schon mehrfach auf dieser Reise habe ich Touristen mit Schürfwunden und Gipsverbänden an fast allen Körperteilen gesehen. Ganz zu schweigen von den eiförmigen Auspuffverbrennungen an der rechten Wade.
Und obwohl es nur eine Ringstraße gibt auf der Insel, ist der Verkehr gewöhnungsbedürftig. Und die Straßen hier sind es ebenso. Mit abnormen Routen durch Wald und Berge würden sie locker und fraglos den Steigungsrekord der Tour de France schlagen.
Der Verkehr, das sind vor allem unzählige Motos und Motorroller, manche mit ganzen Familien drauf, andere mit einem festgebundenen lebenden Schwein auf dem Sozius oder an den Füßen zusammengenoteten Hühnern, die ihr letztes Stündlein kopfunter hängend erleben oder mit hundert oder mehr schwankenden Eierpaletten auf dem Rücksitz. Dazwischen tummeln sich Bratnudel-Verkäufer, die zweirädrige Karren schieben, aus den schwarzer Holzkohlenqualm die Straße vernebelt oder mit Reissäcken hochbeladene Lastwagen, die in jeder Kurve in den Straßengraben zu fallen drohen. Im Mittelpunkt und mit hohem Respekt versehen rauschen die bunten Pickups mit Höchstgeschwindigkeit über den Asphalt. Alle hupend, alle gestikulierend, nebenbei auf dem Handy telefonierend, ohne erkennbares System durcheinanderfahrend.
Es ist einfach so: Besteigt der Asiate ein Fahrzeug, dann lässt er für gewöhnlich den Buddhismus Buddhismus sein und achtet nicht auf sein Karma.
Kurz und gut: Ich habe mich in den Liegestuhl zu einem Kokosnuss-Shake gelegt.
Die Fahrt von der Insel in die Hauptstadt war ausgesprochen komfortabel. Nur das New Merry Gh war nicht neu, sondern alt und etwas muffig. Geht aber für eine Nacht. Ich bin wieder in Banglampoo untergekrochen und habe das Gefühl, dass heute deutlich mehr Backpacker in den Straßen sind. Werde jetzt ein Bierchen mit Wifi trinken, Essen gehen und noch ein paar Dinge einkaufen. Morgen früh nochmals Wat Pho, diesmal mit Fotoapparat und shoppen. Das wars dann.
Morgen Abend, etwa um 20 Uhr Ortszeit Bangkok, steigt die Boeing 777 von Etihad Airways in den nachtdunklen Himmel.
Es wäre gelogen, würde ich sagen, dass ich gerne flöge (dieser unsägliche Konjunktiv!).
Jedes Mal, wenn ich die Kabine eines Flugzeuges betrete, komme ich mir wie ein Versuchskaninchen vor.
Außer mir sind alle anderen um mich herum völlig gelassen und zeigen keinerlei Symptome von Nervosität. Auch wundert es mich jedes Mal, wenn die Stewardess auffällig unbefangen (?) die Handhabung der Sauerstoffmasken erklärt, die korrekte Stellung bei Notlandungen, den Trick, wie man die Schwimmwesten - noch nie habe ich mich versichert, ob unter meinem Sitz tatsächlich eine auf mich wartet - im Indischen Ozean selber aufblasen kann, wenn sie es nicht automatisch getan hat, dass keiner aufsteht und brüllt: „Ich will hier augenblicklich raus!“
Oder wenn die Maschine an der Startbahn steht und mit irrsinnigem Lärm Anlauf nimmt und Anlauf nimmt und immer noch Anlauf nimmt und abheben will und doch noch auf der platten Erde rast, dass alle um mich herum in ihre spannenden und mitreißenden Bücher stieren, die Flugbegleiterinnen mit betonter Sachlichkeit den Gang entlang trippeln, sich am Sitz anschnallen und gelangweilt im Nichts ruhen. Alles in Ordnung, alles normal!
Normalerweise fliege ich nicht allein, sondern mit Edith. Und weil sie noch mehr Flugangst hat (was sich inzwischen allerdings schon ziemlich entspannt hat), kann ich in die Rolle des Beschützers schlüpfen. Ich halte dann ihre Hand und hoffe, dass sie die feuchte Innenfläche meiner Hand nicht wahrnimmt.
Wenn das Teufelsding dann doch endlich - nach langer Schrecksekunde - in Zeitlupe irgendwie vom Boden abhebt, lehnt sich alles unmerklich entspannt im Sitz zurück und der Kapitän erzählt mir etwas in einer Sprache, dir mir nicht geläufig ist. Noch nie konnte ich die Durchsagen vom Cockpit verstehen.
Alles in Ordnung, alles normal.
Mit einem Tempo, schneller als meine Gedanken schieße ich dann durch einen Raum, der mir so fremd, unbelebt und irreal erscheint, dass mich das seltsame Gefühl nicht verlässt, dass ich hinausgeschleudert werde ins All, wenn nur der richtige Augenblick gekommen ist, auf den ich keinerlei Einfluss habe. Ich ergebe mich in mein Schicksal, lenke die zurückgebliebenen Gedanken mit Buchstaben und Bildern aus der alten, mir bekannten Welt ab.
Erst in dem Moment, in dem die Maschine den Boden, das Rollfeld berührt und ich langsam das Gefühl erhalte, der Flieger könnte tatsächlich abbremsen, bevor er mit Getöse über das Rollfeld triftend ins letzte Nirgendwo knallt, erst dann kommt das warme Gefühl zurück, irgendwo angekommen zu sein, noch einmal davongekommen zu sein.
Zum Schluss:
Alles ist hinfällig und vergänglich. Nichts bleibt bestehen, denn alles ist im Wandel. Das Alte und Morsche stirbt ab, worauf das Neue geboren wird.